Love, Spells and All That (2019)

Die Zauberkraft verbotener Liebe

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Es sei die glücklichste Zeit ihres Lebens gewesen, gesteht Reyhan (Selen Uçer) ihrer einstigen Freundin und Jugendliebe Eren (Ece Dizdar). Sie fand ihr jähes Ende, als Erens Mutter die beiden Teenager zusammen im Bett entdeckte. Eren musste die türkische Heimatinsel verlassen und ihr mächtiger Vater sorgte dafür, dass Reyhan und ihre Familie kein Bein mehr auf den Boden bekamen. Die verzweifelte Reyhan ließ Eren mit einem Liebeszauber belegen, von einer in der Kunst der Magie und Hellseherei bewanderten Frau. Nun, 20 Jahre später, kehrt Eren auf die Insel zurück, um Reyhan in eine gemeinsame Zukunft abzuholen. Reyhan erschrickt über die Kraft des Zaubers und weist Eren beharrlich ab. Sie will der Amour fou, die ihr so viel Unglück brachte, nicht noch einmal vertrauen.

Eine leicht entrückte, fast märchenhafte Stimmung durchzieht diese Romanze des türkischen Regisseurs und Drehbuchautors Ümit Ünal (Sofra sirlari). Die kurzhaarige Eren wirkt mit ihrem ärmellosen Top im Städtchen auf der Insel Büyükada wie eine Touristin aus der Großstadt. Sie, die in Paris studiert hat, umwirbt Reyhan jedoch mit den glühendsten Worten, mit einer in ihrer Unbedingtheit fast archaisch anmutenden Leidenschaft. Nachdem sie die widerstrebende Reyhan dazu gebracht hat, sie wenigstens auf einen Tee in ihr Haus einzuladen, brechen bei dieser alte Wunden auf. Reyhan wirft Enre vor, sie verlassen zu haben, aber dann zeigt ihr Enre den Packen Liebesbriefe, die sie nie beantworten konnte. Ihre Mutter hatte sie Enre erst an ihrem Sterbebett ausgehändigt. Weil sich Enre nicht abschütteln lässt, nimmt Reyhan sie mit zur Magierin, die den einst von ihr verhängten Liebeszauber brechen soll. Die Wege durch die Straßen der alten Stadt führen wie im Märchen über einige Hürden und mühsame Stufen immer höher hinauf bis zum Aussichtspunkt mit Blick auf das Marmarameer.

Die gesellschaftliche Ächtung der lesbischen Liebe hatte die beiden Teenager mit voller Wucht getroffen. Die ins Ausland verfrachtete Enre probierte andere Beziehungen, sogar eine Ehe mit einem Mann, und erkannte doch, dass sie von Reyhan nicht loskommen konnte. Reyhan schleudert ihr nun den ganzen Schmerz entgegen, der ihr Leben überschwemmte. Ihr Vater, der als Hausmeister für Enres Familie arbeitete, verlor seinen Job, fing zu trinken an. Reyhan selbst verlor viele Jahre lang jede Stelle, die sie annahm und ist überzeugt, dass Enres Vater als einflussreicher Politiker dahintersteckte. Nun lebt sie mit ihrem Partner Gökhan (Uygar Özçelik) in seinem Haus. Dieses sturmfreie, wenngleich karge und emotionsarme Nischendasein will sie sich keineswegs rauben lassen. Aber je länger sich die beiden Frauen austauschen, desto schwerer fällt es Reyhan, sich gegen die alten Erinnerungen zu sträuben. Die gemeinsame Unternehmung, den Liebeszauber brechen zu lassen, führt sie näher zusammen und sorgt für skurrile, auch lustige Momente.

Ünal thematisiert in dieser Geschichte, wie gnadenlos die türkische Gesellschaft queere Liebe auch noch in jüngerer Zeit unterdrückt hat. Selbst jetzt ist Eren und Reyhan klar, dass sie auf der Insel, auf der sie aufwuchsen, als Paar wohl nicht unbehelligt leben könnten. Wie so viele Liebespaare, deren Beziehung von anderen torpediert wird, verkörpern auch diese beiden Charaktere einen utopischen Geist der Rebellion, der in eine freiere Zukunft weist. Das Motiv des Liebeszaubers, das sich als roter Faden durch die Geschichte zieht, dient als Brücke zwischen Tradition und Moderne, Vergangenheit und Gegenwart. Eren, die studierte Psychologin, verfolgt die magischen Rituale mit belustigtem Grinsen und sagt Reyhan, dass sie nicht daran glaubt. Der Sohn der verstorbenen Magierin und die Okkultistin, bei der sie schließlich landen, wirken verschroben und sogar ein wenig unheimlich. Trotz der ironischen Brechung, mit der die Geschichte abergläubische Praktiken behandelt, lässt sie offen, ob der Zauber nicht doch seine Wirkung tut. Indem Eren und Reyhan aus der Welt der Vernunft ein Stück weit hinaustreten, knüpfen sie auch wieder an ihre wilde, konspirative Freude aus der Jugendzeit an.

In dem pittoresken Ambiente des Inselstädtchens breitet sich nach und nach eine sommerlich gelöste Stimmung aus, die nicht nur bei Eren und Reyhan Urlaubsgefühle aufkommen lässt. Dennoch könnte Gefahr lauern. Das suggeriert Ünal nicht nur mit dem Plot, sondern auch mit der Kameraführung, die zugleich das Publikum auffordert, den eigenen Blick zu überprüfen. Mit welchem Recht, so scheint er zu fragen, sollten Dritte zornig über diese Zweisamkeit herfallen dürfen? Die Kritik an gesellschaftlicher Homophobie mischt Ünal in diesem Film auf ansprechende Weise mit verträumter Romantik und einer Prise optimistischer Leichtigkeit.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/love-spells-and-all-that-2019