The Princess (2022, II)

Wenn eine Königstochter ihren Disney-Stil vergisst

Eine Filmkritik von Markus Fiedler

Der vietnamesische Regisseur Le-Van Kiet hatte bislang nur in seiner Heimat Martial-Arts-Filme gedreht, obwohl er in den USA aufgewachsen ist. Nach dem Erfolg von „Furie“ in Vietnam bekam er von Disney das Angebot, einen etwas anderen Märchenfilm zu drehen – „The Princess“. Und der hat so gar nichts mit dem gleichnamigen Dokumentarfilm über Lady Di zu tun, auch wenn in beiden Filmen eine Prinzessin im Mittelpunkt steht.

Denn Kiets Film wirkt, als hätte ein traditioneller Disney-Märchenstoff mit harten Actionstreifen wie The Raid ein Kind gezeugt. Optisch bleibt The Princess dabei stets im Disney-Land, das Schloss, in dem die gesamte Handlung spielt, könnte auch aus einer Realverfilmung von Dornröschen oder Schneewittchen stammen. Zuckersüßer Prunk, saubere Kerker und ein üppig ausstaffierter Turm, in dem die erste halbe Stunde des Films spielt, sprechen da eine deutliche Sprache. Auch die Kostüme wirken wie aus dem Disney-Fundus und erzeugen genau die Art Märchenfilm-Stimmung, die man vom großen Unterhaltungskonzern kennt und erwartet. Dazu kommen die Bösewichter, die mit viel Spaß am Augenrollen und Zähnefletschen vom wandelbaren Dominic Cooper und der häufiger als Schurkin besetzten Olga Kurylenko verkörpert werden. Doch damit endet auf den ersten Blick auch die Ähnlichkeit zum klassischen Märchenfilm.

Denn die Rolle von Joey King als namenlose Prinzessin des kleinen Königreichs, das sich der fiese Nachbar mittels Heirat unter den Nagel reißen will, entspricht so gar nicht dem, was der Fantasy-Fan erwartet. King darf nicht nur kämpfen wie in Irrwisch, fechten, sich durch die Lüfte schwingen und extreme Stunts erleben, sie darf das auch unter voller Aufbietung ihrer Kräfte tun. Da wird es schonmal blutig, da fliegt ein Zahn und auch die Prinzessin selbst hat nicht nur Ausfälle ihrer Garderobe zu beklagen, sondern blutet mehr als einmal für ihr Land. Im Gegensatz zum beinharten The Raid bleibt The Princess aber innerhalb der „frei ab 16“-Grenzen und setzt bei all der ungewöhnlichen Brutalität auch und vor allem auf Humor. Das Drehbuch des noch recht unerfahrenen Autorenduos Ben Lustig und Jake Thornton trägt nicht nur mit guten Running Gags dafür Sorge, sondern auch mit einem ordentlichen Schlag Ironie in einem Plot, der sich ohnehin zu keinem Zeitpunkt auch nur ansatzweise ernst nimmt.

Damit ist The Princess aber auch der Inbegriff für einen reinen Unterhaltungsfilm. Natürlich lässt sich in die rebellische Prinzessin etwas hineininterpretieren, ebenso in das latent homoerotische Verhältnis zu ihrer Ausbilderin in den Kampfkünsten. So wie man aus King Kong eine Allegorie auf den Vietnamkrieg sehen kann, weil Hubschrauber darin vorkommen. Man kann es aber auch lassen und The Princess als reinen Actionspaß abtun. Vermutlich würde sich kein einziger kreativer Kopf, der daran mitgearbeitet hat, dadurch gekränkt fühlen.

Außerdem passt der Film auf den zweiten Blick dann doch wieder ausgezeichnet zu Disney. Denn die Prinzessin ist nur so rebellisch, wie das gerade noch sittsam ist, zudem so loyal zur Familie wie nur möglich und stets bereit, ihr Glück dem ihres Volkes unterzuordnen. Bei allen Unterschieden in der actionlastigen Story bleiben die klassischen Disney-Werte wie die Heiligkeit der Familie und das Anderssein in Maßen also erhalten.

Zudem kann Kiet Action sowohl beeindruckend als auch unterhaltsam inszenieren und präsentiert in vielen Kämpfen der Prinzessin gegen die Schergen des Schurken originelle kleine Ideen und Blickwinkel. Da sicher ein Drittel des Films aus solchen Szenen besteht, kommen vor allem Freunde von Martial Arts und rasanten, dynamischen Szenen auf ihre Kosten. Natürlich immer unter dem Aspekt reiner Unterhaltung. Aber das hat ja auch seine Daseinsberechtigung. Wer mit einer simplen Story und viel Getöse einfach mal abschalten möchte, kann dafür deutlich schlechtere Filme finden als The Princess.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/the-princess-2022-ii