Die Insel der Zitronenblüten (2021)

Von Frauen, Familien und Geheimrezepten

Eine Filmkritik von Anke Zeitz

In einer Jahreszeit, in der man fröstelnd durch Schnee- und Regenmatsch läuft und sich künstliche Heizquellen suchen muss, kommen Filme, die schon mit ihrem Titel wärmende Sonnenstrahlen aussenden, genau richtig. Die von Desirée Nosbusch koproduzierte spanisch-luxemburgische Verfilmung des Erfolgsromans „Die Insel der Zitronenblüten“ von Cristina Campos will genau das: Mit einer herzenswarmen Geschichte unterhalten und ein sehnsuchtsvolles Urlaubsfeeling beim Kinopublikum entstehen lassen. Das gelingt Regisseur Benito Zambrano und dem engagierten Ensemble stellenweise gut. Dennoch hat man beim Zuschauen oftmals das Gefühl, dass hier des Guten ein bisschen zu viel versucht wurde. Oder vielleicht doch zu wenig?

Wenn Spiel- und Dokumentarfilme der letzten Jahre den Zusammenhalt von Frauen in ihr Zentrum stellen, wird deutlich, wie kraftvoll diese Narrative sein können. Hive von Blerta Basholli, She Said von Maria Schrader oder der wunderbare Dokumentarfilm Walchensee Forever von Janna Ji Wonders. Auch in Die Insel der Zitronenblüten sind Frauen das Zentrum der Geschichte – verbunden durch gemeinsam Erlebtes und geheimnisvoll Verborgenes.

Doch bevor der Film sich diesem Thema widmet, werden erst individuelle Konflikte der beiden Schwestern Marina und Anna etabliert – und da hat jede ihr Päckchen zu tragen. Marina ist als Ärztin bei einer NGO in Afrika tätig und hilft gleich in der ersten Szene dabei, ein Kind zur Welt zu bringen. Die Mutter stirbt bei der Geburt und Marina empfindet von Beginn an eine große Zuneigung zu dem Baby Adina, das sie trotz bürokratischer Widerstände adoptieren möchte. Ihre Heimat Mallorca hat Marina seit 14 Jahren nicht mehr besucht. Auch mit ihrer Schwester Anna, deren Mann Armando sich mit Spekulationsgeschäften verkalkuliert hat, hat sie seit damals kaum gesprochen. Doch nun erhält Maria die Nachricht, dass sie 20 Prozent einer Bäckerei im Ort geerbt hat – ohne die verstorbene Besitzerin Lola je gekannt zu haben. Marina, die in einem lockeren Verhältnis mit dem Arzt Mathias lebt, kehrt nach Mallorca zurück. Und während Marina und Anna versuchen, als Schwestern wieder zueinander zu finden und mit weiteren existenziellen Problemen konfrontiert werden, begibt sich Marina auf die Suche nach dem Geheimnis ihrer mysteriösen Erbschaft.

Schon das Nacherzählen des Plots lässt die große Fülle an Erzählstoff erkennen. Und in der Tat scheinen die fast zwei Stunden Laufzeit nicht auszureichen, eben jene Fülle adäquat in der Abgeschlossenheit eines Spielfilms zu erzählen. Stellen die ersten 30 Minuten noch Marina ins Zentrum der Handlung, so erwacht die Figur der Anna, die, erschüttert durch eine schwere Diagnose, versucht, sich von ihrem despotischen Macho-Ehemann zu lösen, in der zweiten Hälfte des Films zu mehr Leben.

Die Hauptdarstellerinnen Elia Galera und Eva Martín füllen ihre Rollen überzeugend und gefühlvoll aus – gerade im Miteinander stimmt die Chemie und man spürt, wieviel Distanz die Schwestern nach 14 Jahren Trennung zu überwinden haben. Das Drehbuch (co-verfasst von Zambrano und Cristina Campos selbst) schafft gemeinsame Szenen, in denen Blicke und kleine Gesten die Intimität der schwesterlichen Verbindung deutlich machen und in denen die Dialoge auf Pathos verzichten, der sich dann allerdings im letzten Drittel des Films leider umso deutlicher bemerkbar macht.

Im Verlauf des Films hat man das Gefühl, dass der schwesterliche Konflikt ausgereicht hätte, um eine mitreißende Geschichte zu erzählen. Doch Die Insel der Zitronenblüten will mehr sein: Ein Pamphlet für weibliche Solidarität vor allen Dingen, aber eben auch eine geheimnisvolle Familiengeschichte. Dabei nutzt der Film die Bäckerei als Dreh- und Angelpunkt für die Suche der Frauen nach ihrer gemeinsamen Identität. Spannende Nebenfiguren wie die schroffe Bäckerin Catalina, die Lolas Geheimnis bereits ihr Leben lang bewahrt, die weise Hoteliersfrau Ursula, die als Mutterersatz fungiert, oder Annas Teenager-Tochter Anita dienen ohne große eigene Geschichte als Illustration für die starken Verbindungen, die zwischen den Frauen entstehen, und bei denen die Männer nur Beiwerk sind.

Tommy Schlesser als Mathias wirkt dabei als Marinas Traummann ein wenig zu traummannartig, und Pere Arquillué als Armando ist ein zu eindimensional ekelhafter Macho. Wirklich berührende Momente gelingen dem Film in den Sequenzen, die in der Bäckerei spielen. Hier werden das Essen und die Tradition des Backhandwerks zelebriert und es kommen zeitweise Erinnerungen auf an Chocolat (2000) oder Madame Mallory und der Duft von Curry (2014). Gerade solche Szenen, die den Trailer des Films überproportional dominieren, hätte es mehr gebraucht, um in die Umgebung, aus der die so sinnlich verarbeiteten Zutaten stammen, einzutauchen.

Die Kamera von Marc Gómez del Moral konzentriert sich auf Großaufnahmen der Gesichter, schafft aber kaum filmisch große Momente, die gerade im Kino ihren Zauber verbreiten können. Und auch der „Sehnsuchtsort“ Mallorca wirkt, von wenigen Bildern am Strand und in den verwinkelten Gassen des Ortes abgesehen, als Kulisse verschenkt. So ist Die Insel der Zitronenblüten ein Film, der viel erzählen will, sich aber in der Fülle seiner Themen zunehmend verliert und gleichzeitig die Chance verpasst, ganz großes Gefühlskino zu sein.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/die-insel-der-zitronenblueten-2021