Facing Down Under - Die Doku eines Backpackers (2020)

Sieben Monate Freiheit

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Nach dem Schulabschluss auf nach Australien – ein typischer Plan, den viele junge Menschen auf der ganzen Welt haben. So auch Chris Hartung aus Bielefeld in Nordrhein-Westfalen, der sich 2019 im Alter von 19 Jahren auf den sogenannten Roten Kontinent begibt. Dokumentarfilme, in denen Reiseunternehmungen zwischen Abenteuer und Sinnsuche eingefangen werden, erfreuen sich seit einiger Zeit großer Beliebtheit – etwa "Weit. Die Geschichte von einem Weg um die Welt" (2017) oder „REISS AUS – Zwei Menschen. Zwei Jahre. Ein Traum“ (2019). Auch "Facing Down Under – Die Doku eines Backpackers" verfolgt das Ziel, uns das Gefühl des Unterwegsseins audiovisuell zu vermitteln.

Via Voice-over erzählt uns Chris zu Beginn, er wolle uns an diesen Ort mitnehmen, an dem er innere Zufriedenheit gefunden habe. Er wolle erkunden, was dieses "Paradies für Backpacker" und dessen magische Anziehungskraft ausmache. Und so sind wir von Anfang an dabei. In der Einführung erfahren wir, dass die Familie von Chris schon immer viel gereist ist. Gemeinsam mit Johannes, einem Kumpel aus der Schulzeit, bereitet er sich auf die Rucksackreise vor; in einer Videoserie dokumentieren sie ihre Pläne. Es geht zunächst nach Sydney, wo auch Chris' Freundin Johanna als Au-pair tätig ist.

Der Auftakt des Films mutet etwas oberflächlich an – was wohl auch daran liegt, dass die Voice-over-Stimme von Chris in jedem Moment die absolute Deutungshoheit hat. Wir hören kaum Gespräche, sondern meist nur vereinzelte Aussagen; über den Bildern liegen größtenteils Musik und/oder die Schilderungen von Chris. "Wir kannten uns nicht allzu gut", sagt Chris anfangs über seinen Schulfreund und Reisebegleiter Johannes; und nach ein paar Wochen des Stadtlebens zwischen Eingewöhnung, Partys, ersten Bekanntschaften und mühsamer Jobsuche gehen die beiden dann, kurz nachdem sie von einem Hostel in eine Zwölfer-WG gezogen sind, getrennte Wege, da sie "nicht dieselben Ziele" haben. Auch wenn sich Chris an späterer Stelle nach dreijähriger Beziehung von Johanna trennt und er dies mit den Worten "erwartbar, irgendwie überfällig und dennoch schmerzhaft" abschließt, haben wir nicht wirklich das Gefühl, etwas von der zwischenmenschlichen Interaktion mitbekommen zu haben. Menschen wie Johannes und Johanna bleiben uns eher fremd; sie sind in erster Linie Teil einer Bilder-Collage.

Die emotionale Anteilnahme kommt dadurch insgesamt zu kurz. Doch Facing Down Under verfügt fraglos auch über viele Stärken. Da sind zunächst einmal gewiss die hervorragenden Aufnahmen – sowohl im Urbanen als auch in der Natur, wenn Chris beispielsweise nach seinem Aufenthalt in Sydney nach Mildura im Bundesstaat Victoria weiterzieht, um dort auf einer Farm zu arbeiten. Der Regisseur erzeugt Bilder und Stimmungen, die nichts von einem Amateurwerk haben, sondern handwerklich einwandfrei sind und sich obendrein durch Abwechslungsreichtum und zahlreiche originelle Details in der Gestaltung auszeichnen. Die Begegnung mit einer extrovertierten Italienerin wird zu einem amüsanten Film-im-Film; eine verstörende Gewalterfahrung nach einem alkoholseligen Abend wird als eine Art innerer Monolog umgesetzt.

Zudem gelingt es dem Film, die besonderen Herausforderungen zu erfassen, die mit dem Work-and-Travel-Konzept verbunden sind. So nimmt etwa das familiäre Beisammensein in Mildura ein jähes Ende, als plötzlich alle jungen Leute, die der kräftezehrenden Tätigkeit auf dem Feld nachgehen, von der Arbeitgeberin und Hausbesitzerin gefeuert werden, weil es in der Unterkunft angeblich zu unordentlich ist. Ohnehin beschönigt Chris die negativen Erfahrungen, die er im Laufe seines Abenteuers macht, nicht – wozu schließlich auch das vorzeitige, Corona-bedingte Ende des Australien-Trips gehört. Obwohl Facing Down Under in einigen Passagen mehr in die Tiefe hätte gehen können, um mitreißender zu sein, schafft es Chris Hartung, sein Dasein im Hier und Jetzt, seine Begeisterung und auch alle Hürden der sieben Monate, die er letztlich auf Reisen ist, zu transportieren. Der Plan, in Australien nach Freiheit zu suchen, wird zweifellos für weitere Generationen bestehen – und dieser Film macht durchaus begreiflich, weshalb das so ist.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/facing-down-under-die-doku-eines-backpackers-2020