Beyond the Infinite Two Minutes (2020)

Zwei Minuten sind nicht genug

Eine Filmkritik von Christian Neffe

Ein kleines Café irgendwo im Herzen einer japanischen Großstadt ist der Schauplatz von „Beyond the Infinite Two Minutes“. Der Inhaber Kato (Kazunari Tosa) begibt sich nach Feierabend in seine Wohnung, die direkt über seinem Laden liegt, um noch ein wenig für den bevorstehenden Auftritt seiner Band zu proben. Dem Griff zur Gitarre folgt die Suche nach dem Plektrum, das verschwunden ist. Da springt der Monitor neben Kato an – sein eigenes verdutztes Gesicht blickt ihm entgegen. Es handelt sich jedoch nicht um eine Aufzeichnung, sondern ein Live-Bild aus der Zukunft.

Dieser Kerl da im Fernseher, das sei er selbst in zwei Minuten, erzählt das Gesicht, und zum Beweis verrät er ihm, dass das Plektrum unter den Teppich gerutscht ist. Nun müsse Kato schnell nach unten kommen, um sich selbst genau das noch mal zu erzählen. Denn der Fernseher im Café und der Monitor in Katos Zimmer sind per Kamerabild miteinander gekoppelt – Ersterer jedoch lässt zwei Minuten in die Vergangenheit des Zimmers blicken, während Letzterer darstellt, was zwei Minuten später im Café passiert.

Das klingt irre? Nun, die Idee hinter Beyond the Infinite Two Minutes ist unheimlich kreativ. Und was innerhalb der folgenden 70 Minuten daraus gemacht wird, steigert das Ganze noch um ein Vielfaches. Denn natürlich bleibt Kato nicht die einzige Figur, die diese kuriose Entdeckung macht. Zur seiner Angestellten Aya (Riko Fujitani) gesellen sich bald noch die drei Freunde Komiya (Gota Ishida), Kinjo (Munenori Nagano) und Tanabe (Masashi Suwa) hinzu, die von der Anomalie höchst fasziniert sind und ausloten wollen, was alles damit möglich ist, welchen Profit sie daraus schlagen und ob sie diesen Zwei-Minuten-Effekt nicht noch irgendwie potenzieren können.

Zunächst beschränkt sich das noch auf harmlose Späße - „Nenne mir einen Gegenstand, den ich in meiner Tasche haben soll“ – und weitet sich bald auf Rubbellos-Voraussagen aus. Die Gruppe träumt schon vom ganz großen Geld, etwa durch Sportwettenergebnisse, die sie aus der Zukunft ihren Vergangenheits-Ichs mitteilen könnten. Doch zwei Minuten reichen dafür nicht aus. Was also tun? Logisch: beide Bildschirme gegenüberstellen, und schon vervielfacht sich der Effekt. Kato jedoch kommen zunehmend Zweifel: Ist es wirklich richtig, die Zukunft zu kennen? Wird man damit nicht Sklave seines mutmaßlichen Schicksals, büßt seinen freien Willen ein? Schließlich muss die Kontinuität stets gewahrt werden ...

Entwickelt und gedreht wurde der Film kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie von der Kyoter Theatergruppe Europe Kikaku: Beyond the Infinite Two Minutes ist ihr erster Film und deshalb eine umso beachtenswertere Leistung. Denn nicht nur die Idee und das Konzept sind wahnsinnig erfrischend, umgesetzt wird das Ganze darüber hinaus als Pseudo-One-Shot bestehend aus jeweils rund zehnminütigen Plansequenzen, die mit unsichtbaren Schnitten verbunden sind. Das ist nicht nur inszenatorisch beeindruckend, auf diese Weise entsteht auch ein Echtzeit-Eindruck, der für diese Geschichte, in der alles minutiös aufeinander abgestimmt ist, so wichtig ist, um die Illusion aufrechtzuerhalten und umso glaubwürdiger zu machen.

Weniger als 20.000 Dollar kostete der Film, Beyond the Infinite Two Minutes ist im wahrsten Sinne des Wortes also eine kleine Perle – was zugleich seine große Stärke wie auch seine Schwäche ist. Denn selbst wenn man über die mangelhafte Beleuchtung, die zuweilen auftretende Unschärfe der Bilder (gedreht wurde per Smartphone) und das, selbst wenn man auf die Tradition des japanischen No-Theaters verweist, reichlich überzogene und dadurch immer wieder laienhaft anmutende Spiel der Darsteller*innen hinwegsehen kann, so kann der Film durch seinen Minimalismus im Hinblick auf Set, Cast und Laufzeit zwar ganz viel Sympathie für sich verbuchen – bleibt schlussendlich aber doch zu klein.

Das anfängliche Erklären der Ausgangssituation mit den zwei Bildschirmen wird drei Mal iteriert, obwohl man es schon beim ersten, spätestens beim zweiten Mal verstanden hat, wodurch trotz gerade mal 70 Minuten gewisse Längen entstehen. Und eine Rettungsaktion, die den dramaturgischen Höhepunkt der Geschichte markiert, mag zwar alle zuvor scheinbar belanglosen Erzählelemente effektiv zusammenführen, gestaltet sich letztlich aber unspektakulärer, als es die Idee verdient hätte. Ein wenig mehr Budget, Aufwand und Pomp hätten Beyond the Infinite Two Minutes zu einem würdigeren Knalleffekt am Ende verhelfen können. Ob es ein europäisches oder amerikanisches Remake, das so sicher wie das Amen in der Kirche sein dürfte (siehe den jüngsten Versuch von Michel Hazanavicius, mit Coupez! eine Neuverfilmung des ebenfalls minimalistischen Japan-Überraschungshits One Cut of the Dead zu inszenieren), aber besser machen würde, daran darf dann doch gezweifelt werden.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/beyond-the-infinite-two-minutes-2020