Elle (2016)

Aus Lust an der Provokation

Eine Filmkritik von Magdalena Miedl

Als pro-rape thriller hatten Eingeweihte Paul Verhoevens neuen Film verschwörerisch angekündigt, als Film ohne Rücksicht auf moralische Tabus. Ganz so ist es nicht, auch wenn Elle mit den erstickten Lauten einer Vergewaltigung beginnt. Die Angegriffene ist Michelle, gespielt von Isabelle Huppert, die Geschäftsführerin eines erfolgreichen Computerspielstudios. Sie lebt das Leben der Vollblut-Bourgeoisie, mit gediegenem Mobiliar im Pariser Altbau, klassischer Musik und einem angemessen verkrampften Verhältnis zur Mutter. Ihr Geld verdient sie freilich damit, dass junge Programmierer in ihrem Auftrag die verkorksten männlichen Sexfantasien von Gamern bedienen.

Trotz der realen Gewalterfahrung des Überfalls, bei ihr daheim, auf dem blanken Parkett, macht Michelle zunächst weiter wie bisher: Kehrt die Scherben zusammen, nimmt ein Bad, bestellt Sushi, berät ihren erwachsenen Nichtsnutz von Sohn bei der Wohnungsmiete. Dann bekommt sie anonyme Nachrichten, die klarmachen: Der Angreifer beobachtet sie weiter. Irgendwann erzählt sie dann beim Essen ihrem Exmann, ihrer besten Freundin und deren Mann von der Vergewaltigung. Und nein, sie will nicht zur Polizei. Lieber kauft sie Pfefferspray und Axt, denn unterkriegen lässt sie sich bestimmt nicht.

Peu à peu wird ihr die Vergewaltigung zum Katalysator einer Selbstermächtigung: Sie durchschaut das testosterongetränkte Beziehungsgeflecht ihrer Mitarbeiter im Unternehmen, sie beendet eine Affäre und beginnt eine andere, sie verabschiedet sich endlich von den Geistern ihrer eigenen Biografie. Und ihr gelingt eine perfide Rache.

Mehr als ein Thriller ist Elle eine boshafte Gesellschaftskomödie, die um eine wahr gewordene Vergewaltigungsfantasie herum gedeiht und blüht. Verhoeven erfüllt die Traditionen des bourgeoisen französischen Lustspiels mitsamt Affären, Verwechslungen und Verlogenheiten, und kombiniert sie mit dem Rape-Revenge-Motiv zu etwas faszinierend Neuem. Dabei interessiert sich Elle aber wenig für das Milieu, in dem Michelle arbeitet, und ist überladen mit konstruierten Subplots: Da ist etwa Michelles Sohn, der sich von seiner Freundin ausnutzen lässt, der attraktive Nachbar, dessen erzkatholische Ehefrau ihn mit christlicher Folklore erstickt, Anlass für einige der komischsten Momente des Films, und da ist Michelles eigene Vergangenheit als Tochter eines Mannes, der im Gefängnis sitzt für eine unfassbare Gewalttat.

Huppert leuchtet in diesem Film; am besten ist sie, wenn in einem Gedanken an eine vorherige Situation ein winziges Lächeln in ihrem Mundwinkel sitzt, das sie schnell wieder wegwischt. Aber Elle ist, trotz aller Lust an der Provokation, nicht der Triumph, der der Film hätte sein können.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/elle-2016