Das Pfauenparadies (2021)

Ein Fest mit Folgen

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Jeder kennt das: Eine Großfamilie kommt zusammen und alle sind nervös. Wenn die Oma Geburtstag feiert, treffen sich manche, die sich sonst lieber aus dem Weg gehen. Andere freuen sich auf das Wiedersehen nach langer Zeit. Die Erwartungen sind so hoch wie die Rollenzwänge eng. Trotz eifriger Bemühungen läuft daher einiges holprig. Im Kino hat man das oft gesehen, selten geht es gut aus. Eher feiern die Leichen im Keller ihre Auferstehung, am eindrucksvollsten wohl in Thomas Vinterbergs „Das Fest“ (1998). Die Italienerin Laura Bispuri gönnt ihren Figuren einen versöhnlicheren, hoffnungsvolleren Weg - in einer beeindruckend dichten Familienaufstellung von elf Personen. 

Ohne einen heftigen Sturm, der alles auf den Kopf stellt, wird es aber auch hier nicht gehen. Windgepeitscht wehen die Palmen an diesem Wintertag vor der Wohnung am Meer, in die Nena (Dominique Sanda) ihre Angehörigen zum Essen eingeladen hat. Und auch der titelgebende Pfau macht klar, dass sich Natur nicht in das Korsett menschlicher Regeln sperren lässt. Paco, der Pfau, wird zwar von Nenas Sohn Vito (Leonardo Lidi) und dessen Partnerin Adelina (Alba Rohrwacher) als Haustier gehalten. Dass sie ihn zur Familienfeier mitbringen dürfen, mussten sie der widerstrebenden Gastgeberin aber mühevoll abringen. Schon aufgrund des Filmtitels ist zu ahnen, dass der Vogel eine bedeutende Rolle spielen wird. Allerdings nicht in surrealen, paradiesischen Anklängen an den magischen Realismus, sondern äußerst handfest.

Schon die Personenkonstellation offenbart Risse im familiären Gefüge. Nenas Tochter Caterina (Maya Sansa) hat sich von ihrem Ex Manfredi (Fabrizio Ferracane) und dessen neuer Flamme Joana (Tihana Lazović) herfahren lassen – angeblich, weil Caterinas eigenes Auto in der Werkstatt ist. Großcousine Isabella (Yile Vianello) hat offensichtlich geweint, bevor sie verspätet eintrudelt. Und Matriarchin Nena hegt seit Jahrzehnten ein Geheimnis, das dem Publikum zwar schon zu Beginn angedeutet, aber den eigenen Kindern beharrlich verschwiegen wurde. Enkelin Alma (Carolina Michelangeli), das einzige Kind in der Runde, muss praktisch nur ein paar naive Fragen stellen, um das fragile Familiengebilde merklich ins Wanken zu bringen

Beinahe ein Dutzend Menschen kommt in der Wohnung zusammen. Jedem und jeder einzelnen schauen Laura Bispuri und ihre Ko-Autorin Silvana Tamma liebevoll über die Schulter. Das ist eine besondere Leistung und das Außergewöhnliche dieses Films, der elf Charaktere auf Augenhöhe versammelt. Alle lernen wir als komplexe Menschen kennen: Als würden wir bei ihnen auf dem Sofa sitzen und sie betrachten wie unsere Schwestern und Brüder, mit ihren Tics, ihrer Fragilität, ihren Fehlern und Lebenslügen, aber auch mit ihren guten Seiten. Der Film taucht sie in ein leicht melancholisches Licht, die Farben sind warm und gedämpft. Richtig kalt wird es hier im Winter nicht, der dunstige Tag erscheint eher herbstlich. Die Endlichkeit des Lebens legt sich wie ein Schleier über die Szenerie. Es geht um existenzielle Fragen und um die ironische Heiterkeit, mit der sie sich betrachten lassen. Im Angesicht eines Unglücks, das nicht verraten werden soll, schmelzen die bürgerlichen Konventionen weg. Alternative Lebensentwürfe kommen ans Licht. Am Ende dürfen alle ein wenig freier atmen.

Obwohl sie eigentlich an einem größeren Projekt arbeitete, hat Laura Bispuri nach Sworn Virgin (2015) und Meine Tochter - Figlia mia (2018) wieder einen kleinen Film mit wenig Aufwand gedreht. Der Pandemie ist es geschuldet, dass aus dem größeren Film nichts wurde und die Regisseurin auf eine Drehbuchskizze von Silvana Tamma zurückgriff. Offensichtlich ging die Geschichte den beiden leicht von der Hand. In acht Monaten war der Film fertig, vom Drehbuch bis zur Postproduktion. Aber gerade der heruntergeschraubte Anspruch kommt der Wahrhaftigkeit der flüssigen Inszenierung zugute. Nichts will hier „Bigger than Life“ sein. Das Drama wirkt alltagsnah und wie locker aus dem Ärmel geschüttelt, zugleich aber stilsicher und fein im Gespür für die nötige Verdichtung. Dass hier eine kleine Perle heranwuchs, spürte wohl auch Hauptdarstellerin Dominique Sanda. Dem Star des europäischen Kinos der 1970er und 80er Jahre wurde das Drehbuch nach Uruguay geschickt, wo die Französin seit 20 Jahren lebt. Obwohl sie sonst kaum noch vor die Kamera tritt, sagte sie zu und flog trotz Pandemie nach Europa. 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/das-pfauenparadies-2021