Ach du Scheiße! (2022)

Im Dixiklo hört dich niemand schreien

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Schummriges Licht, wabernder Bodennebel, eine sich räkelnde Frau, die verführerisch den Reißverschluss des Blaumanns öffnet, ein Striptease unterm Bauhelm, dazu Münchner Freiheit: „Ohne dich schlaf ich heut Nacht nicht ein“… Frank (Thomas Niehaus) erwacht aus einem feuchten Traum, im wahren Wortsinn: Es tropft auf sein Gesicht. Er müht sich um Orientierung, die Kamera fängt schwankend das Innere eines Dixiklos ein, an der Wand ein Pin-up der Bauarbeiter, Frank liegt quer, das Dixiklo liegt auf der Seite, und Franks Arm… Mit dieser Anfangsszene setzt Tobias Rinker in seinem formidablen Debütfilm „Ach du Scheiße!“ klare Zeichen: enger Ort, eingeschlossener Protagonist und ein schmerzhafter Bodyhorror-Effekt, denn Frank ist festgenagelt durch einen langen Eisenstab.

Frank im Dixiklo, das Dixiklo in einer Baugrube, in einer halben Stunde wird gesprengt, nebenan moderiert der Bürgermeister launig die Grundsteinlegung inkl. Explosion. Und Frank will überleben. Die Balance, die dieser Film hält, ist unglaublich: Hochspannender Thriller um einen, der quasi lebendig begraben wurde, der Opfer ist von Wahnsinn und Mordlust, der sich befreien muss aus aussichtsloser Lage. Pechschwarzer Humor, der sich mal in satirischem Bayern-Bashing, mal im Ausreizen von Ekel, mal in hochironischen Schicksalsschlägen formiert. Und Splatter, der durch Mark und Bein geht, wenn Rinker die Situation mehr und mehr – und durchweg konsequent – zum blutigen Spektakel eskalieren lässt. Der Zuschauer windet sich bei Franks Bemühen, sich herauszuwinden aus der Scheiße, in der er bis zum Hals steckt.

Es gibt in letzter Zeit einige herausragende deutsche Genrefilme; Marcel Barion mit seinem Science-Fiction-Thriller Das letzte Land, oder Steffen Tralles mit seinem Gangsterthriller Fisch für die Geisel – der eine spielt mit zwei Menschen in einem schrottreifen Raumschiff auf Odyssee durchs Weltall, der andere mit den Beziehungsdynamiken zwischen drei Menschen in einem verlassenen Haus; in Ach du Scheiße! nun einer gefangen im Klo – die selbst auferlegten Beschränkungen in Sachen Raum und Personal, sicherlich auch bedingt durch notwendige Beschränkungen im Budget, scheinen das Ideenreichtum und die Kreativität anzufachen – es wird nun Zeit, dass das Publikum diese herausragenden Arbeiten erkennt und anerkennt, bis die Vorurteile vom verweichlichten, harmlosen, massentauglich-fernsehgerechten deutschen Genrefilm endlich verworfen werden. Dieser Film zeigt, dass nichts dran ist, er führt sein Publikum zum Lachen über den Ekel, zum Schreien über den Schmerz, und er strotzt vor Überraschungen, wenn nahezu in Echtzeit von den verzweifelten Befreiungsbemühungen erzählt wird.

Frank ist Architekt, er kann planen, er kann strategisch denken, aber immer wieder scheitern seine Pläne. Er hat einen Hammer und einen Meterstab, die Tür ist verschlossen. Das Handy fällt in die Fäkaliensoße, die brennende Hose, als Signal durch den Türspalt rausbugsiert, verschafft ihm beinahe eine Rauchvergiftung, das Karnickel, das die Kabel der Sprengladung zerknabbern soll, lässt sich von der Mohrrübe nicht locken, sondern erschrecken. Und ganz nebenbei erkennt Frank, dass er dringend seine Beziehung zu Marie (Olga von Luckwald) kitten muss, und dass sein Freund, der Bürgermeister (Gedeon Burkhard), doch ein ganz anderer Typ ist, als er dachte. Weniger guter Kumpel, eher so in Richtung wahnsinniger Psychopath. Und draußen liegt Frau Grün vom Umweltamt (Friederike Kempter), die eigentlich nur den Gamsbartkauz retten will. Jetzt ist sie so gut wie – oder doch schon richtig – tot; aber immerhin als Ansprechpartnerin wichtig, damit Frank seine Gedanken sammeln, seine Hoffnung ausdrücken kann. Denn der Dixiklodeckel mit dem eingeprägten Smileygesicht mit seinen sarkastischen, pessimistischen Kommentaren ist nicht wirklich ein Freund; nein, sowas wie den Volleyball Wilson aus Cast Away hat Frank nicht zur Seite…

Es ist ein Wunder, und es ist ein Glück, dass ein derartiger Film in Deutschland gedreht werden konnte. So etwas hat die Leinwand bisher nicht gesehen – und hoffentlich wird es in Zukunft weitere dolle hiesige Genrearbeiten geben. Ein Anfang ist gemacht.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/ach-du-scheisse-2022