Pacifiction (2022)

Oh, I like your style

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Mit „Pacifiction“ meldet sich der katalanische Künstler Albert Serra („Der Tod von Ludwig XIV.“) auf der Kinoleinwand zurück. Wie etwa auch schon in seinem Experimentalfilm „Liberté“ (2019) über eine Gruppe von lüsternen Adligen, die kurz vor der Französischen Revolution Zuflucht in Deutschland sucht, verzichtet Serra hier abermals weitgehend auf narrative Zuspitzungen und widmet sich in rund 165 Minuten dem Alltag seiner Hauptfigur im südpazifischen Überseegebiet Französisch-Polynesien, auf der Insel Tahiti.

Serra und sein Kameramann Artur Tort machen uns in Pacifiction erneut zu einem voyeuristischen Publikum, das dem Treiben in der trügerisch-idyllisch anmutenden Morgenröte, bei grellem Sonnenschein am Tage und im (Halb-)Dunkel der Nacht sowie im Kunstlicht des Clubs Paradise Night beiwohnt. Jenes nächtliche Etablissement wird, wie zuvor das Wäldchen zwischen Potsdam und Berlin in Liberté, zu einem ganz eigenen, faszinierenden Kosmos, in dem die Anwesenden einander vorstellen und beobachten, miteinander lachen, tuscheln und lästern („What a bitch“).

Ein Schild in pinker Neonschrift führt hinein in eine Welt, deren Takt mal von den sanften Klängen von Lap-Steel-Gitarren, mal von den deutlich härteren Beats elektronischer Musik, vom Aufstieg und Abfall der Bassline vorgegeben wird. Während alkoholische Getränke eingenommen und erstaunlich beiläufig über Lebensentwürfe, politische Entwicklungen und Gefahren, Gerüchte, Lust, Frust und Schmerz gesprochen wird, gehen leicht bekleidete Kellner:innen und Tänzer:innen ihren Jobs nach.

Zentrum des Films ist De Roller (Benoît Magimel), der als Hochkommissar im Dienste des französischen Staates steht und zwischen der Regierung und der lokalen Bevölkerung vermittelt. De Roller schwadroniert bezüglich seiner besonderen Position auf der Insel von Vertrauen; hinter dem vermeintlich gelassenen, leutseligen Tonfall steckt indes auch sehr viel Berechnung und Kälte. Der Arthouse-Star Magimel (Die Klavierspielerin) verkörpert diesen wohlhabenden Machtmenschen, der größtenteils Sonnenbrille und bevorzugt ein buntgemustertes Hemd zu einem cremefarbenen oder dunklen Anzug trägt, als ziemlich selbstgefälligen, eitlen und latent bedrohlichen Mann, der genau weiß, wie er andere von sich abhängig macht.

Die Sichtung eines Militär-U-Boots sorgt schließlich für Unruhe auf der Insel; Ängste vor der Wiederaufnahme von örtlichen Atomtests machen bald die Runde und lassen Ausschreitungen befürchten. Was in dieser Kurzzusammenfassung nach einem spannungsgeladenen Polit-Krimi oder gar -Thriller klingen mag, ist im Endeffekt aber eher ein Streifzug, der die typischen Elemente einer Serra-Arbeit aufgreift (auch Serras Stammschauspieler Lluís Serrat zählt wieder zum Ensemble).

Der Song I Like Your Style von Freddy Butler ist in einer Sequenz mit tanzenden Marineoffizieren zu hören. Leute, für die jene Aussage auch auf Serra und dessen bisherige Kunst zutrifft, werden sich auch von Pacifiction mitreißen lassen können. Bei aller Dialoglastigkeit in einigen Passagen lässt sich dem Film eine gewisse Sogwirkung nicht absprechen. Das Gefühl, in einem Nachtclub zu sitzen und den richtigen Moment zum Aufbruch verpasst zu haben, begleitet uns als Zuschauende durch die etlichen Rundgänge des Protagonisten. Alles ist Atmosphäre und unterschwelliges Unbehagen, untermalt mit einem Soundtrack, der uns noch bis in unsere Träume folgt.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/pacifiction-2022