Museum of the Revolution (2021)

Im Dschungel der Großstadt

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Im kubanischen Havanna gibt es ein Museum der Revolution, in Belgrad nicht. Dabei hatte man in Jugoslawien unter Tito große Pläne für ein solches Haus. Aber es wurde nichts daraus, nur der Keller des Gebäudes entstand, für den Rest fehlten das Geld und der politische Wille. Der serbische Regisseur Srđan Keča hat sich trotzdem dort umgeschaut. Mit seiner Kamera erkundet er das Untergeschoss und trifft Menschen, für die die Revolution einst gemacht wurde: die Ärmsten der Armen, obdachlose Habenichtse. In einer Mischung aus Dokumentation und Essay spürt der Film den Idealen von einst und der Desillusion von heute nach. Dabei trifft er drei Generationen von Frauen, die wider Erwarten etwas vorleben, was im galoppierenden Kapitalismus der sich rasch verändernden Metropole nur noch an den Rändern existiert: Schwesterlichkeit.

Das Mädchen Milica ist die jüngste der drei. Wir sehen die vielleicht Acht- oder Neunjährige im Schnee spielen, allein an einem sonnigen Tag in der Nähe eines Parks. Sie hat eine herzförmige Schachtel dabei und spielt so etwas wie Kuchenbacken. Die Schachtel füllt sie mit Schnee, dreht sie dann um und möchte das Gelände mit dem Zeichen der Liebe schmücken. Aber der Schnee ist zu locker, das Gebilde zerfällt, das Herz misslingt, so oft Milica ihr Spiel auch wiederholt. Im Kopf des Zuschauers formt das symbolhafte Tun eine doppelte Botschaft, eine wahre und eine falsche. Unrichtig ist, dass die Liebe misslänge im Leben des Kindes. Ihre Beziehung zur Ersatzoma Mara und zur Mutter Vera ist vielmehr das einzig Gelingende. Korrekt dagegen ist die Beobachtung, dass vieles, was sich die drei vornehmen und erträumen, danebengeht.

Gleich zu Beginn zitiert der Film ein Sprichwort: "Ein Wind hob an in der Nacht und wehte unsere Pläne weg." So erging es auch dem titelgebenden Museum. Eine menschenfreundliche Architektur sollte es nach der Idee von Planer Vjenceslav Richter werden, ein Raum der Begegnung, der politischen Debatte. Konventionelle Ideen des Museumsbaus taugten dafür nicht, befand der Architekt und visionäre Theoretiker. Stattdessen entwarf er einen theaterartigen Saal als Versammlungsraum unter einem aufwändig gestalteten Dach. "Die Wahrheit über uns", so Richter, sollte das Gebäude schützen und bewahren. Das war 1961. Aber erst 1978 wurde mit dem Bau begonnen, zwei Jahre vor Titos Tod. Über die Kellerräume kam man nicht hinaus. 

Dort in der dunklen, nur von einem kleinen Lichtschacht und einem wärmenden Feuer erhellten Höhle treffen wir Mara, die älteste der drei Frauen. Sie hat sich mit Milica angefreundet, dem kleinen Mädchen aus dem Schnee. Mara ist wie eine Oma für die Kleine. Sie spielt mit ihr, bringt ihr das Stricken und Häkeln bei. Regisseur Srđan Keča, der selbst die Kamera führt, zeigt die Welt der Obdachlosen aus doppelter Perspektive. In der objektivierenden Totale, die nichts beschönigt; und in zärtlichen Großaufnahmen, die die Gesichter in ein warmes, ja poetisches Licht tauchen. Es gibt die Perspektive der Erwachsenen, die Tag für Tag ums nackte Überleben kämpfen. Und es gibt die Perspektive des Kindes, das fröhlich und klaglos eine geschützte Welt voller Magie erkundet. Milica lebt mit ihrer Mutter Vera auf der Straße. Das bisschen Geld zum Überleben verdienen sie auf einer sechsspurigen Straße bei einer Ampel, wo sie den wartenden Autofahrern die Windschutzscheibe gegen Almosen putzen.

In einem klassischen Dokumentarfilm würde sich der Regisseur an die Fersen der drei Frauen heften, würde ihren Alltag begleiten, sie ihre Geschichten erzählen lassen und nach Antworten suchen, welche Schicksalsschläge dazu führten, dass sie auf der Straße landeten. Museum of the Revolution enttäuscht einen Großteil solcher Erwartungen. Der Film verweigert das typische Sozialdrama, er widersetzt sich den typischen Zuschreibungen, mit denen auch wohlmeinende Betrachter die Ärmsten der Armen in Schubladen stecken. Stattdessen öffnet er Leerstellen, die das Publikum mit seinen Vorurteilen konfrontieren, und füllt die durch Auslassungen gewonnene Zeit mit bildstarken Reflexionen über eine sich rapide wandelnde Metropole. Im meditativen Fluss der Bilder ziehen Großbaustellen vorbei, nagelneue Wohn- und Büroblocks, Schneisen des unbarmherzigen Verkehrs.

Im Vergleich mit den sozialistischen Visionen einer menschenfreundlichen Architektur ist das eine freudlose Welt. Die beschleunigte Bauwut drückt die Obdachlosen noch stärker an den Rand, bedroht ihr eh schon prekäres Dasein. Aber der Film belässt es nicht bei realistischem Pessimismus. Er stellt ihm, ohne zu romantisieren, die unerschütterliche Liebe und Zärtlichkeit zwischen Mutter, Tochter und Ersatzoma entgegen. "Wirst du mich verlassen?", fragt die Mutter. Und die Tochter antwortet: "Wo du hingehst, gehe ich auch hin." Die Liebe bleibt eine Bastion im unsteten Leben. Auch der Nachtwind, der alle Pläne fortweht, kann sie nicht umwerfen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/museum-of-the-revolution-2021