Nicht ganz koscher - Eine göttliche Komödie (2021)

Laufen ein Jude und ein Beduine durch die Wüste…

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Schwarz gekleidet, Zylinder auf dem Kopf, dicke Brille. Unter dem Hut Kippa, Bart, Schläfenlocken: Ben (Luzer Twersky) ist Jude, ultraorthodox, jedes der 613 Mitzwa, die HaSchem persönlich seinem auserwählten Volk mit auf den Weg gegeben hat, muss peinlich penibel befolgt werden. Er ist unterwegs auf langer Straße durch die Wüste. Sein Voice Over, gleich zu Beginn des Films, setzt den Ton: Wer durch die Wüste geht, lässt mit jedem Schritt ein Stück von sich zurück. So wird man mit jedem Schritt aus dem, was man war, zu dem, was man ist. Was es nicht doch alles an Gemeinplatz-Klischees über „Lebensweg“, „Der Weg ist das Ziel“ und Roadmovie-Stereotype gibt ...

Nicht ganz koscher ist Komödie. Die irgendwie lustig arabisch klingende Musik des Soundtracks macht das ebenso deutlich wie die Zeichnung der jüdischen Gemeinde in Alexandria, deren Vorsteher sauer ist auf den soeben Verstorbenen, weil es nun nur noch neun Männer sind, und das kurz vor Pessach! Denn dies eines der vielen Gebote: Zum Gottesdienst braucht es zehn Männer. Und der Gemeindevorsteher hat mit dem Präfekten verabredet: Wenn Pessach nicht gefeiert werden kann, geht der gesamte Besitz der jüdischen Gemeinde an den ägyptischen Staat, also an den Präfekten. Der ist im Übrigen ein guter Kerl, weil die beiden gerne miteinander Schach spielen.

Dies der Auftakt, und als ob es der Klischees und der hanebüchenen Handlungskonstellationen nicht genug wären, landet in Jerusalem auch noch Ben. Der Orthodoxe aus Brooklyn erkennt sofort, dass ihn sein Onkel verkuppeln will, und bietet sich an, als zehnter Mann nach Alexandria zu reisen. Dies tut er, um dem Heiratsvermittler aus dem Weg zu gehen, vor allem aber, weil es sonst schlichtweg keinen Film gäbe.

Unterwegs kauft er falschen Fisch, der wie Wurst aussieht, aber Hühnchen ist (ein Running Gag im Film); der Taxifahrer zur Grenze wird beinahe als Comic-Relief-Sidekick eingeführt, unterwegs aber fallengelassen. Stattdessen gibt es eine Busfahrt, und weil Ägypten demokratisch ist, wird abgestimmt, ob der Jude mitdarf, der dann irgendwo im Nirgendwo der Sinai-Wüste im Straßengraben landet. Und weil nicht alles ist, wie es scheint und Vorurteile hinterfragt werden müssen (dies, kurz gesagt, eine der Botschaften des Films), hat ihm eine Burka-Trägerin ein paar Gurken mit auf den Weg gegeben. Die er nicht waschen kann und ironischerweise davon Durchfall bekommt. Hihi: Durchfall!

Er trifft auf Adel (Haitham Omari), der ihn im Pick-up-Truck mitnimmt, eigentlich aber auf der Suche nach seinem Kamel ist. Also geht es erst mal weg von der Straße, quersandein den Spuren von Hufen und Kameldung nach. Bis das Auto kaputtgeht. In drei Tagen muss Ben in Alexandria sein.

An diesem Punkt gelingt es dem Film tatsächlich, den von den Klischees der typischen Feelgood-Komödie inzwischen schon recht ermüdeten Zuschauer an die Figuren zu binden, ihn emotional mitzunehmen. Ging es bei all den Albernheiten vorher darum, was die Menschen trennt, so sitzen die beiden nun am Lagerfeuer und reden. Ben kann Adels Fladenbrot nicht essen, da es nicht koscher ist, – dafür halal, aber das ist ja ganz was anderes. Später teilen sie das Brot; Ben spricht von den 613 Gottesgeboten, Adel von der Vergangenheit der Beduinen, die ihren Stolz eintauschen mussten gegen verlorene Hoffnung. Sie kommen einander und dem Zuschauer nahe, – aber dieses Gefühl verfliegt spätestens dann wieder, wenn sie aus Dummheit in einem Brunnen landen.

Der Jude und der Araber gemeinsam unterwegs – dass Nicht ganz koscher hierbei keine Idee hat, wie der Nahostkonflikt gelöst werden könnte, kann ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden. Dass er aber auch keine Idee hat, wie aus dieser Konstellation eine gute Komödie gemacht werden kann, schon. Zu den Stereotypen und der vagen Banalität, dass ja der jüdische und der muslimische und der christliche Gott doch gar nicht so weit auseinander seien und dass die Menschen halt einfach mal menschlich zueinander sein sollten, kommt hinzu, dass die Regisseure Stefan Sarazin und Peter Keller gedankliche Ungleichgewichte und Leerstellen in Kauf nehmen, die sie womöglich gar nicht bemerken.

Ben, der Jude, gewinnt in dem Film. Er bekommt alles, was er will, wenn auch nicht ganz so, wie er es will: Und das einfach dadurch, dass er stur ist. Für seine täglichen Waschungen – Gebot! – leert er den Trinkkanister; Adel badet es aus. An Schabbes darf er nichts tragen – Adel schleppt sich ab. Um Pessach in Alexandria zu retten, schlappt er in die Wüste – Adel muss ihn retten. Dass aber die eigentliche Lösung des Problems mit der jüdischen Gemeinde in Alexandria schlicht darin liegen könnte, patriarchalische Traditionen aufzubrechen, fällt keinem der am Film Beteiligten ein. Vielleicht, so hofft man beim Abendmahl, wird ja Gott ein Wunder tun und eine späte Schwangerschaft herbeiführen, sodass im nächsten Jahr ein Baby-Junge da ist. Frauen nämlich, die gibt es genug in der Gemeinde. Sie zählen aber nicht, wenn man Gottes Gebote eng auslegt.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/nicht-ganz-koscher-eine-goettliche-komoedie-2021