Nicht ganz koscher - Eine göttliche Komödie (2021)

Der zehnte Mann

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Stefan Sarazins und Peter Kellers Film „Nicht ganz koscher – Eine göttliche Komödie“ beginnt ausgerechnet in der Wüste. Dort treffen wir zum ersten Mal auf den US-amerikanischen ultraorthodoxen Juden Ben (Luzer Twersky), der voll bepackt und im traditionellen Ornat der Orthodoxen mit langem Mantel und Hut durch die Einöde irrt und selbst dort nicht von seinen zeremoniellen Waschungen lassen kann, obwohl ihm dadurch schnell das dringend benötigte Wasser auszugehen droht. Auf den ersten Blick ahnt man, dass dieser fromme Mann wohl dem sicheren Tod geweiht wäre, wenn nicht ein Wunder geschehen würde. Folgt man dann allerdings dem Weltbild Bens, so ist der rettende Engel, der ihn aufliest und vor dem Tod bewahrt, zugleich eine schwere Prüfung, die ihm Gott auferlegt hat. Denn der Beduine Adel (Haitham Omari) hält eigentlich nicht viel von den Juden im Allgemeinen, doch mitten in der Wüste gelten halt andere Gesetze – nämlich schlicht diejenigen des nackten Überlebens. Einen Fremden dort zurückzulassen, kommt natürlich nicht in Frage. Und so kommt es zu einer Art interreligiösem Culture Clash, wenn es darum geht, 613 jüdische Glaubensgebote mit der Archaik des Überlebens in einem feindlichen Lebensraum zu vereinen.

Wie sehr das Leben von ultraorthodoxen Juden (und letztendlich allen strenggläubigen Menschen überall auf der Welt) von einem rigiden Regelwerk geprägt ist, bei dem es vor allem darauf ankommt, Umwege und unkonventionelle Lösungen für schwierigste Aufgaben zu finden, das zeigt bereits die in Rückblenden erzählte Vorgeschichte, die überhaupt erst dazu geführt hat, dass Ben in der Wüste landet. Gerade frisch aus Brooklyn in Israel eingetroffen, muss der recht naive Amerikaner nämlich kurzerhand bei der zahlenmäßig sehr dezimierten jüdischen Gemeinde im ägyptischen Alexandria – einst die größte ihrer Art – einspringen, was er freilich auch ganz gerne tut, um einer drohenden Verheiratung zu entgehen. Weil in Alexandria ein Gemeindemitglied frecherweise kurz vor dem Pessachfest verstarb, droht dieses nun zu platzen, da es den Gesetzen entsprechend zehn Männer sein müssen, damit das Fest begangen werden kann. Also macht sich Ben auf die Reise, verpasst aber dummerweise den Flieger, besteigt dann einen Bus, aus dem er aber nach heftigen Diskussionen mit seinen arabischen Mitreisenden geworfen wird, bis Adel ihn schließlich einsammelt.

Die Reise wird daraufhin allerdings nicht einfacher, denn schließlich verreckt der rostige Pickup von Adel, so dass nun die Reise per Fuß fortgesetzt wird und jede Menge Hindernisse auftauchen, die das ungleiche Paar nur gemeinsam überwinden kann.

Im Grunde zeigt der Film genau das, was man häufig aus Israel hört: Abseits der großen Politik gelingt es den Menschen dort sehr wohl, auf der ganz normalen, alltäglichen Ebene miteinander auszukommen – zumindest zum überwiegenden Teil, auch wenn die Nachrichtenbidler und -texte oftmals ein anderes Bild vermitteln. Man mag diese Botschaft für naiv halten, zugleich entspricht sie aber auch der Lebensrealität der Menschen vor Ort. Zwar nicht ausschließlich, doch eben auch.

Dass Humor und gegenseitiges Verständnis füreinander ein Mittel auf dem Weg zu mehr Verständigung sein können, ist die Hauptbotschaft des erstaunlich leichten und heiteren, dann aber auch wieder nachdenklichen und manchmal sogar spannenden Films, der sage und schreibe 15 Jahre gebraucht hat, bis er von der Idee über das Drehbuch (ausgezeichnet im Jahre 2011 mit dem Deutschen Drehbuchpreis) auf die Leinwand kam. Dass der Film dort bestehen kann, liegt nicht nur am Skript, das immer wieder verschlungene Wege nimmt und beinahe schon durch die Wüste zu flanieren scheint, um immer wieder Seltsames, Bizarres und Liebenswürdiges aufzugreifen und dann anschließend wieder zum Kern der Story zurückzukehren. Auf diese Weise entsteht ein erstaunlich dichtes Geflecht aus Stimmungen, Nuancen und Zwischentönen, denen man den langen Reifungsprozess anmerkt. Hinzu kommen traumschöne Landschaftsaufnahmen und eine sich anbahnende Freundschaft, die bei aller Unwahrscheinlichkeit dennoch berührt und überzeugt und am Ende sogar in ein glückliches Ende mündet, bei dem es dann wirklich keine Unterschiede mehr gibt zwischen den Menschen unterschiedlicher Herkunft und Religion. Eine Utopie ist dies gewiss, aber vielleicht brauchen wir gerade davon im Moment mehr.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/nicht-ganz-koscher-eine-goettliche-komoedie-2021