Renfield (2023)

Viel Blut, wenig Herz

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Wie viele Arten lassen sich erdenken, um einen menschlichen Körper in Stücke zu reißen? Wie viele Arten, um anschließend diese Einzelteile dazu zu verwenden, wiederum andere Körper zu durchbohren, zu zerteilen und ganz generell eine Riesensauerei anzurichten, die schließlich in einem riesigen Leichenhaufen im Lichthof eines Apartmentgebäudes kulminiert?

Das ist eines der Action Set Pieces von Renfield, einer mal frenetischen, mal fast meditativen neuen Perspektive auf Dracula, den Vampir unserer Tag- und Alpträume, hier mit so begeisterten wie vagen Anleihen an den großen Christopher Lee gespielt – und wie! – mit reichlich Ausrufezeichen. Man denkt sofort an eine Reihe scharfer, langer Zähne, gespielt, nein: gegeben von Nicolas Cage.

Cage, wie er das zuletzt in vielen Filmen getan hat, reißt jede Szene an sich, in der er auftaucht; die Augen aufgerissen, den Mund stets geöffnet, scharfe Spitzen überall, und wenn er sich seiner Widersacher entledigen muss, wird er zum CGI-Schatten, der durchs Bild rast oder sich in fliegende Kleintiere auflöst oder auch schonmal in Flammen aufgeht. Da muss er dann, in old-fashioned entstellendes Latex gepappt, von seinem Adlatus wieder zu voller Kraft gefüttert werden, unschuldiges Blut muss her, BLUT!

Wie gesagt, ein Film, eine Rolle voller Ausrufezeichen.

Dabei ist dies nicht einmal die Hauptrolle, die gehört eben jenem Adlatus, dem titelgebenden Renfield. Belesene Menschen werden übrigens feststellen, dass dies nicht der Renfield aus Bram Stokers 1897 erschienenen Dracula (unbedingt lesen, übrigens, wahnsinnig gutes Buch) ist. Oder jedenfalls nicht nur: Stattdessen eine Vermischung von Jonathan Harker (den ältere noch mit dem Gesicht von Keanu Reeves assoziieren, dafür hat Francis Ford Coppola 1992 gesorgt) und Renfield, vereint zu etwas ganz Neuartigem: Des Grafen Gehilfe, der durch das Verspeisen von Insekten für einige Zeit Superkräfte erlangt: Geschwindigkeit, enorme Kraft, genug um Menschen entzweizureißen – siehe oben.

Renfield also nun, verkörpert von Nicholas Hoult, ist mit seinem Herrn und Meister gerade im New Orleans unserer Gegenwart angekommen, und hat langsam die Nase voll. Es wäre doch mal schön, sein eigenes Leben zu führen und sich normalen Dingen zu widmen. Eher zufällig landet er bei einer Selbsthilfegruppe von Menschen, die sich aus Beziehungen mit narzisstischen Partner*innen lösen wollen – und fühlt sich sofort zuhause und verstanden. Nur ist die Sache bei Dracula halt nicht so einfach wie bei den Problemen mit einem gewalttätigen Freund …

Die Lage wird noch komplizierter, als Renfield die junge Polizistin Rebecca Quincy (Awkwafina) kennenlernt, die nach den Mördern ihres Vaters (ebenfalls Polizist) sucht und dabei feststellt, dass die wortwörtlich gesamte Polizei der Stadt korrupt ist und von der kriminellen Lobo-Familie beherrscht wird.

Es türmen sich auf einmal, man ahnt es schon, die Themen aufeinander wie die eingangs beschriebenen Leichen, und das alles tut dem Film nicht besonders gut, ganz im Gegenteil. Natürlich finden die Bösen einander, die Guten müssen zusammenhalten, against all odds und so weiter – das Blut spritzt in Fontänen, gestorben wird reichlich und nicht immer konsequent und dauerhaft. Man könnte sich daraus ein Logikproblem drechseln, man kann’s aber auch lassen: Mit solchen Pfählen wird man dieses Blutsaugers nicht Herr.

Das Problem an Renfield ist auch nicht unbedingt, dass Regisseur Chris McKay und sein Drehbuchautor Ryan Ridley zu viel wollen, sondern dass das sich alles nicht so recht zusammenfügen will – und zudem nicht besonders originell ist. Der Fun-Splatter zielt natürlich auf Übertreibung, aber im Grunde ist das keine wirkliche Weiterentwicklung des lustig gemeinten Rummordens à la Kick-Ass. Nur dass Matthew Vaughn sich seinerzeit dem nonchalanten Zynismus eines solchen Erzählens einfach hingegeben hat, während McKay und Ridley unbedingt die Kurve zur moralisch richtige Seite kriegen wollen.

Deswegen bekommen sowohl Cage als auch die ganz großartige Shohreh Aghdashloo als Matrarchin des Lobo-Clans viel zu wenig Zeit, sich richtig auszubreiten, stattdessen sollen wir irgendwie Renfields Läuterung und eine romantische Annhäherung zwischen ihm und Quincy glauben. Das kriegen in diesem Rahmen aber selbst Hoult und Awkwafinas schräger Charme nicht hin.

Zumal da von auch nur vom Hauch einer erotischen Spannung zwischen den beiden nichts zu spüren ist. Das muss man erstmal hinkriegen, Körperflüssigkeiten en gros und en masse verspritzen, aber mitten in Louisiana, dem Stammland von True Blood, eine Vampirgeschichte ohne jede Erotik hinzuflatschen: Das ist dann schon eher ein Trauerspiel.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/renfield-2023