Unsere Herzen - Ein Klang (2022)

Die Kunst, Chöre zu dirigieren

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Chorsingen ist praktizierte Gemeinschaft und gelebte Kunst. Millionen Menschen singen in Deutschland in Chören. Der Ausbruch der Corona-Pandemie im Jahr 2020 versetzte die Chöre in eine Zwangspause, doch nach und nach kommen die Sänger*innen wieder zusammen zu Proben und Auftritten. Der Dokumentarfilm von Simone Dobmeier und Torsten Striegnitz begleitet drei Chorleiter*innen bei ihrer Arbeit, durch die Krise des Lockdowns und der Konzertabsagen 2020 bis hin zu ihrer Rückkehr ins sich wieder normalisierende Berufsleben. Außer dem britischen Stardirigenten Simon Halsey lassen sich auch die Gesangslehrerin Judith Kamphues und die angehende Chorleiterin Hyunju Kwon über die Schulter schauen und geben Auskunft.

Es wird zwar viel gesungen in diesem Film, sowohl von Profichören als auch von Laien und Laiinnen, aber immer nur kurz. Denn im Mittelpunkt steht die Arbeit der Chorleiter*innen. Wer also meint, er bekomme hier eine Art dokumentarisches Pendant zum schwedischen Erfolgsfilm Wie im Himmel aus dem Jahr 2004 zu sehen, über die segensreichen Wirkungen des Singens im Chor, der irrt. Die Koreanerin Hyunju Kwon spricht einmal darüber, dass sie als Leiterin ja außerhalb der Chorgemeinschaft stehe und am Gruppengefühl nicht so teilhaben könne. Während der Pandemie wird ihr jedoch auch schlagartig bewusst, dass sie als Dirigentin ohne Sänger*innen keine Musik machen kann.

Simon Halsey wird im Film vorgestellt, als er im September 2019 in Hannover eine Masterclass für Chordirigenten leitet. Daran nimmt Hyunju Kwon teil, die in Deutschland studiert und ihre Ausbildung zur Chorleiterin weiter vertieft. Für das Einsingen und die Aufwärmübungen ist bei Halseys Veranstaltung die Gesangspädagogin Judith Kamphues zuständig. Sie unterrichtet auch Lehrer an der Universität der Künste in Berlin und leitet einen Freizeitchor mit 16 Frauen. Indem der Film mal Halsey, mal Kwon und dann wieder Kamphues ins Visier nimmt, ist für eine abwechslungsreiche Dramaturgie gesorgt. Ebenfalls kurzweilig und ansprechend gestaltet sich auch der Wechsel zwischen Probenbeobachtungen und den Erzählungen der Protagonist*innen vor der Kamera oder in Voice-Over.

Im Jahr 2020 fiebert Halsey einem riesigen Mitsingkonzert in New York entgegen, für das er eine Komposition für 1000 Chorsänger in Auftrag gibt. Aber dann macht ihm die Pandemie einen dicken Strich durch die Rechnung. Man sieht ihn daheim in England, ebenso Kwon und Kamphues in ihren vier Wänden - oder im Videogespräch am Computer. Als Halsey endlich wieder nach Köln fliegen darf, für ein Online-Mitsingkonzert des WDR, wird er humorvoll erzählen, wie ungewohnt es für ihn war, die Abende daheim zu verbringen. Kamphues stellt fest, dass der Frauenchor über Videokonferenz-Schaltung nicht proben kann – die zeitliche Verzögerung macht das gemeinsame Singen unmöglich. Aber die Frauen kommen später wieder zusammen. Kwon verbringt einige Monate in Korea in ihrem Elternhaus und studiert dann bei Professor Grün in Saarbrücken, der ihr Talent in Halseys Masterclass entdeckte. Schließlich begleitet der Film die hart arbeitende Künstlerin zum internationalen Wettbewerb für Chordirigenten in Turin. Kwon will, wie sie einmal sagt, in Deutschland auch mal Geld verdienen mit dem, was sie so gerne tut. Eine Karriere auf diesem Gebiet aber, auf dem die Konkurrenz groß ist, wird einem nicht in den Schoß gelegt.

Zu den schönsten Passagen des Films zählen die Proben. Simon Halsey übt mit Schulchören ebenso engagiert wie mit Profichören. Judith Kamphues ermutigt in einer eindrucksvollen, längeren Szene einen ihrer erwachsenen Schüler, seiner Stimme mehr Ausdruck zu verleihen. Und Hyunju Kwon wird von ihrem Professor beharrlich dazu angehalten, mit mehr Verve zu dirigieren – was sie offenbar gut lernt. Wer Chormusik liebt, wird diesen Film über Chorleiter und deren Perspektive sicherlich interessant und anregend finden, obwohl die Sänger und Sängerinnen selbst kaum zu Wort kommen. Aber die zentrale Botschaft richtet sich auch an unmusikalische Menschen, wenn am Beispiel des Chorleiters und seiner Kolleginnen demonstriert wird, dass die Welt der Kunst und Kultur die Pandemie überleben und sich wieder aufrichten kann

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/unsere-herzen-ein-klang-2022