Leander Haußmanns Stasikomödie (2022)

Spitzel, Muse, Pflicht

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Auf Drängen seiner Familie lässt sich der Berliner Romanautor Ludger Fuchs (Jörg Schüttauf) seine Stasiakte aushändigen. Er hat bis heute das Image eines Oppositionellen im letzten Jahrzehnt der DDR gepflegt. Kaum ist die Akte geöffnet, fällt seiner Frau Corinna (Margarita Broich) ein glühender Liebesbrief an ihn in die Hände, den nicht sie verfasst hat. Offenbar hat ihr Gatte bis heute ein Geheimnis vor ihr bewahrt. In die Enge getrieben, schnappt sich Ludger die Akte und eilt aus der Wohnung. Die Erinnerungen holen ihn ein. Wie sollte er seiner Frau denn beichten, dass ihr privates Glück mehr mit der Stasi zu tun hat, als sie ahnt?

Kann man über die Stasi, die Spitzeltruppe und Geheimpolizei des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit, lachen? Ihr menschenverachtendes, auch mörderisches Treiben hatte schließlich für Angst und Schrecken in der Gesellschaft des sozialistischen Ostdeutschlands gesorgt und dafür, dass niemand seinen Nächsten über den Weg trauen konnte. Der Theaterregisseur und Filmemacher Leander Haußmann beweist mit dieser Persiflage, dass sich aus heutiger Distanz durchaus über die Stasi lachen lässt. Er hat sich ausbedungen, dass der vollständige Filmtitel „Leander Haußmanns Stasikomödie“ heißt, um klarzumachen, dass es sich um seinen persönlichen Blickwinkel handelt. Aus diesem heraus betrachtet, scheint im Ostberlin der 1980er Jahre „trotzdem die Sonne“, wie eine Texteinblendung verrät. Man kann dort wie der junge Ludger Fuchs (David Kross) für die Stasi die unangepasste Künstlerszene des Prenzlauer Bergs ausspionieren und dieser trotzdem leidenschaftlich angehören.

Ludger kann sein Glück kaum fassen, dass er Zugang zu den Wohnungen und Kneipen der jungen Wilden bekommt, die Sartre lesen, Besuch von Allen Ginsberg, dem Dichter der Beat-Generation, erhalten und sich sexuell befreien. Zwei aufregende Frauen kreuzen seinen Weg, die junge Oppositionelle Corinna (Antonia Bill) und die Hippie-eske Künstlermuse Natalie (Deleila Piasko). Beim Verfassen seiner Berichte reift Ludger zum Schriftsteller.

Mit der beschwingten, gutmütig überdrehten Komödie schließt Haußmann seine DDR-Trilogie ab, nach Sonnenallee aus dem Jahr 1999 und NVA von 2005. Es gibt ein Wiedersehen mit Obermeister Horkefeld (Detlev Buck), der schon in Sonnenallee vorkam und eifrig die Ausweise der Passanten kontrolliert. Nicht nur diese Nebenfigur sorgt für Slapstick, auch Ludger und seine drei Stasikollegen, die meistens im Auto sitzenbleiben müssen und sich langweilen, neigen zu Pannen und Missgeschicken. Eine herrliche komödiantische Figur gibt der Stasioffizier Siemens (Henry Hübchen) ab, der dem jungen Fußvolk Angst und Schrecken einjagt und seinen abgeklärten Zynismus mit großer Geste zelebriert.

Selbst Erich Mielke (Bernd Stegemann), der mächtigste Stasi-Mann von allen, wird zur schillernden Komödienfigur. Der Ideenreichtum Haußmanns zeigt sich aufs Schönste, wenn Mielkes Geburtstag als Rokoko-Kostümfest gefeiert wird, einem absolutistischen Herrscher angemessen. Im Hof des Schlosses entspinnt sich außerdem ein lustiger philosophischer Dialog zwischen Mielke und dem Stasi-Hoffnungsträger Ludger darüber, wer im gesellschaftlichen System eigentlich der Apfel und wer der Wurm ist. Haußmann erweist sich zum Vergnügen des Publikums als detailfreudig. Wie Ludger im Rausch des Asthmakrauts Halle tollkühne Gedanken ausspricht, wie die jungen Stasimänner unter der Fuchtel des Offiziers Siemens die Mundwinkel herabziehen, wirkt wie so vieles auf heitere Weise theatralisch beseelt. Man darf sich nicht wundern, dass die Gegenwartsebene des Films zur schmalen Rahmenhandlung schrumpft, während Haußmann den jungen Ludger ausgiebig in den 1980er Jahren schwelgen lässt. Schließlich war damals auch der Regisseur selbst ein junger DDR-Künstler. Dieser ostalgische Ausflug zu Hippies in verfallenden Altbauten und Stasispitzeln in beiger Freizeitmontur langweilt keine Sekunde.

Der junge Ludger liest Jack Kerouac und träumt vom freien Westen, wie die meisten Ostdeutschen seiner Generation. Auf Schritt und Tritt werden in dieser Komödie daher Western- und Rockmusikklänge oder Songs wie Death of a Clown, Going up the Country, Bird on the Wire angestimmt. Die versöhnliche Grundhaltung dieser Retrosatire lässt sich auch als ein Angebot zum Umgang mit der Ost-Vergangenheit verstehen und diskutieren: Alle träumten von Freiheit, viele erkauften sich ihren kleinen persönlichen Spielraum durch Stasi-Mitarbeit, gehörten weder eindeutig zu den Guten noch zu den Fiesen. Der Apfel und der Wurm bildeten eine Einheit. Schön war das nicht, aber die Sonne schien zuweilen trotzdem.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/leander-haussmanns-stasikomoedie-2022