Men - Was dich sucht, wird dich finden (2022)

Drastischer Perspektivwechsel

Eine Filmkritik von Sarah Stutte

Am Anfang scheint es, als ob Feuertropfen vom Himmel fallen. Der Regen und die Wohnung, in die uns die Kamera mitnimmt, sind von rötlichem Licht durchflutet. In der Küche steht eine Frau, regungslos, physisch und psychisch verletzt. Langsam löst sie sich aus ihrer Starre und setzt sich in Bewegung. Als sie an die offene Balkontür tritt, um diese zu schließen, stürzt ein Mann an ihrem Fenster vorbei in den Tod. Ein Augenblick des Erkennens in Zeitlupe.

Die Frau, Harper (Jessie Buckley), hatte zuvor ihre kontrolliert-missbräuchliche Beziehung beendet. Der Mann, James (Paapa Essiedu), war ihr Partner. In Rückblenden, die über die gesamte Geschichte verstreut sind, werden die komplexen Zusammenhänge dieses Todes deutlich. Erst einmal fährt Harper jedoch aufs Land, um sich von dem erlebten Trauma zu erholen. Hier hofft sie, in einem Cottage und in malerischer Umgebung, wieder zu sich selbst zu finden. Doch von diesem Ort und vor allem seinen Bewohnern geht eine seltsam unangenehme Präsenz aus. Das gilt nicht nur für den Hausbesitzer Geoffrey (Rory Kinnear), der die Äpfel im Garten als verbotene Früchte bezeichnet. So gibt der herablassende Pfarrer Harper lächelnd die Schuld am Tod von James, während er die Hand auf ihr Knie legt. Der örtliche Polizist rollt dagegen mit den Augen, als die junge Städterin ihre Sorge darüber äußert, dass sie von einem nackten Stalker terrorisiert wird.

Alex Garlands (Ex Machina, Auslöschung) neuestes Werk ist eine genauso faszinierende wie verstörende Mischung aus Science-Fiction und Horrordrama. Men handelt, aufs Wesentliche reduziert, von männlicher Unterdrückung und weiblicher Selbstbehauptung. Er zeigt die Auswirkungen von Aggressionen gegenüber Frauen im realen Alltag, die hier in einem Mikrokosmos kulminieren, der nicht von dieser Welt zu sein scheint. Das verdeutlicht sich auch in den kraftvollen, traumwandlerischen Bildern des Kameramanns Rob Hardy, der die Wälder in übersättigten Farben leuchten lässt oder einen fliegenden Löwenzahn-Samen einfängt, der vom Wind davongetragen wird. Selbst die erdigen Klanglandschaften von Ben Salisbury und Geoff Barrow sind in ihren Momenten genauso real wie imaginär.

Durch einen dramaturgischen Kunstgriff – sämtliche Männerfiguren des Dorfes werden von Rory Kinnear gespielt – wird hier die Gleichförmigkeit der männlichen Charaktere und ihrer vornehmlich negativen Eigenschaften als universelle Wirklichkeit und gleichzeitig persönliche Reaktion dargestellt. In diesem Lebensraum bewegt sich Harper. So sieht sie ihn, geprägt von ihren Erfahrungen und Erinnerungen – fantastisch, aber dennoch eine wesentliche Wahrheit enthaltend. Die Begegnungen im Film verdeutlichen, wie Skepsis, Ablehnung und Opferbeschuldigung den Nährboden für Unterdrückung schaffen. Harpers Ängste sind nicht erfunden oder nur in ihrem Kopf; der Horror entsteht durch die kollektive Weigerung, ihre Sorgen ernst zu nehmen. Visualisiert wird dieser Schrecken anfangs noch stark im Stile des Volkshorrors eines The Wicker Man. Dazu passt auch die biblische Allegorie auf den Garten Eden.

Nicht nur der Apfel am Baum oder das schuppige Schlangenhautmuster an der Decke des Waldtunnels spielen auf den Sündenfall an. Kurz nachdem Harper das Obst gegessen hat, beginnen die übernatürlichen Ereignisse um sie herum zu eskalieren. Die Ursünde begründet das unheilige Schicksal der Menschheit. Wir alle sind seitdem in unserer eigenen Freiheit vorbelastet und in bestimmten Mustern gefangen – Frauen genauso wie Männer. Für Garland war der Ausgangspunkt für Men ein altes Stück heidnischer Ikonografie, das in Europa als Grüner Mann bekannt ist. In mittelalterlichen Kirchen stellt es als Zierelement an sakralen Bauten ein männliches Gesicht mit Blättern dar, die aus seinem Mund ragen oder sich mit seinem Bart verflechten. Im Film ist diese Figur auf der Vorderseite eines Taufbeckens zu finden. Auf dessen Rückseite prangt jedoch noch ein anderes Symbol, das den Regisseur inspirierte.

Es zeigt eine Frau, die ihre Genitalien zur Schau stellt. Diese als Sheela-na-Gig bekannten mysteriösen Schnitzereien lassen sich heute in Irland und Großbritannien vor allem noch an den Außenwänden von Kirchen, Burgen und Gebäuden finden. Garlands volkstümliche Horrorgeschichte spricht damit auf Urängste an, welche die Beziehungen zwischen den Geschlechtern bis zurück zu den Stammeltern beeinflusst haben und den Weg zur Verständigung erschweren.

Das Grauen entlädt sich hier schließlich in einer Cronenberg'schen Szenerie, als sich die wiedergekäute Männlichkeit mehrmals selbst gebiert. Trotz aller Metaphern werden diese jedoch zum Ende hin abstrakter und offener für Interpretationen. Das zeigt, dass Men nicht versucht, die komplexen Grauzonen des Geschlechts und der Identität vollständig verstehen zu wollen. Der Kern dieses exzellent gespielten Films liegt darin, auf einer gleichwertigen Ebene menschliche Gefühle wahrzunehmen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/men-was-dich-sucht-wird-dich-finden-2022