Mutzenbacher (2022)

Männer auf der Couch

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Viel ist es nicht, was Ruth Beckermann für ihren Film auffährt: Eine leere ehemalige Sargfabrik, ein paar Lichter und Reflektoren, eine Kamera, ein Klavier und ein gewaltiges rosagoldenes Canapé im Stil der Belle Epoque sowie das verruchte titelgebende Buch - und natürlich vor allem Männer. Jede Menge Männer. Alte, junge, mittelalte. Spießer und Beamtentypen, Pensionisten und Abgewrackte unbestimmten Alters, Studenten und „Young Professionals“, Hängengebliebene und smarte Aufsteiger. Zwischendrin der frühere Direktor des österreichischen Filmmuseums, ein Ex-Bodybuilder oder Kampfsportler, ein Hänfling und diverse andere Exemplare der Gattung Mann.

Und dann ist da noch dieses Buch, das sie alle eint. „Josefine Mutzenbacher - Die Geschichte einer Wienerischen Dirne“, 1906 anonym erschienen und immer wieder Felix Salten, dem Autor von „Bambi“ (ausgerechnet!) zugeschrieben, ist ein - man kann es kaum anders beschreiben - Sexreißer, der wenig mit Frivolität, aber sehr viel mit pornographischer Literatur zu tun hat. Und der aus heutiger Sicht ob des missbräuchlichen Charakters und des jungen Alters (die Erinnerungen setzen im Alter von fünf Jahren ein und reichen bis zum 14. Lebensjahr), in dem die Protagonistin ihre ersten sexuellen Erlebnisse und Begegnungen hatte, noch einmal kritischer gelesen werden muss. Kein Wunder also, dass „die Mutzenbacher“ in Deutschland erst 2017 von der Liste jugendgefährdender Schriften gestrichen wurde. Noch heute reichen die vorgelesenen Passagen aus dem Buch völlig aus, um selbst gestandene Kerle in deutlich sichtbare Verlegenheit zu bringen.

Es gebe vermutlich eh nur zwei Sorten von Männern, so einer von ihnen vor der Kamera, die sich auf Ruth Beckermanns Casting-Aufruf gemeldet haben dürften - die einen wegen des berüchtigten Buchs und der Verheißung auf womöglich erotische Sensationen, die anderen wegen des großen Namens der berühmten Dokumentaristin. Derjenige, der das sagt, gehört zweifelsohne zur zweiten Kategorie, ebenso wie vermutlich auch Alexander Horvath, der frühere Direktor des österreichischen Filmmuseums, der gemeinsam mit einem jungen Mann mit beachtlichem Talent zum Vorlesen auf der Casting-Couch Platz nimmt.

Mit viel Freude an der Ironie und dem Spiel mit der erotischen Irritation und der Verkehrung der Geschlechter- und Machtverhältnisse durchmisst Mutzenbacher den Text des Buches einerseits und die Fantasiewelt der Männer andererseits, stellt sie mehrmals gemeinsam zu einem Chor auf, der erotische Wörter skandiert und lässt sie dann wieder auf dem Möbelstück Platz nehmen, das neben der Nähe zur Casting-Couch auch an die Liegemöglichkeit einer anderen Wiener Hervorbringung mit großer Nähe zur (kindlichen) Erotik, der Psychoanalyse erinnert.

Und so fantasieren, gestehen, beichten und schwadronieren die Kerle und Mannsbilder über das, was geil macht, über angebliche oder tatsächliche erotische Erlebnisse, über Coming-outs und verpatzte Abenteuer, vermeintlich über ein Buch und doch vor allem über sich.

Es ist ein Ritt auf Messers Schneide, bei dem die Männer nicht immer gut wegkommen und manch einer den Eindruck gewinnen könnte, dass die Herren der Schöpfung hier ordentlich vorgeführt werden. Doch andererseits erscheint dies angesichts dessen, was Frauen seit Jahrhunderten und Jahrtausenden diesbezüglich erdulden und erleiden müssen, allenfalls als ein heiteres Spiel mit Lust und Scham, nahezu verklemmt – wie Geilheit.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/mutzenbacher-2022