Bettina (2022)

Zwischen Hüben und Drüben

Eine Filmkritik von Bianca Jasmina Rauch

Biografien, die sich zwischen Ländern, politischen Systemen und beruflichen Sparten bewegen, können interessante Annäherungen zu historischen Ereignissen ermöglichen. Nicht allein Fakten vermitteln das Bild einer Zeit, sondern auch die lange danach anhaltenden Gefühle ihrer Zeitzeug*innen, in denen sich das Erlebte immer noch und immer wieder einschreibt und fortsetzt. Mit „Bettina“ stellt Lutz Pehnert in einer Mischung aus Interviewsituationen, Aufnahmen von (Fernseh-)Auftritten und Vernehmungsmitschnitten der Staatssicherheit ein Porträt über die Ost-Berliner Musikerin Bettina Wegner zusammen und vermittelt so einen Eindruck davon, was es bedeuten kann, ein Mensch seiner Zeit und der Umstände zu sein.

Berlin, heute: ein Rave, auf dem Menschen sich rhythmisch hin und her bewegen. Auf der Tonspur Bettina Wegners Stimme, die in melancholischer Stimmung von der Sehnsucht singt, ein Vöglein zu sein, um leicht den Ort wechseln zu können. Heimat, was das wohl sein mag? Seit über 30 Jahren ist die Mauer gefallen, doch ihre erfahrene Entwurzelung begleitet die damals zur Ausreise gedrängte Wegner heute genauso wie das Gefühl der Sehnsucht nach der alten Heimat, erklärt sie in Bettina. Gedanken, die sich in ihren Songtexten und -stimmungen wiederfinden. Was sich bereits zu Beginn zeigt, zieht sich auch bis zum Ende des Films hindurch: Die Lieder von Wegner nehmen einen prominenten Platz darin ein, werden nicht bruchstückhaft, sondern zum Teil in ihrer ganzen Ausführung dargeboten. Textzeilen und Songtexte teilen das Porträt in seine Kapitel ein – etwa „Wind sein, wenn andere schwitzen“ oder „Hoffnung haben beim Ertrinken“ aus dem Lied „Gebote“ – und kreieren so neben der chronologischen Lebenserzählung einen formalen roten Faden.

Bettina Wegner wurde 1947 in Berlin geboren und wuchs in Pankow mit der Überzeugung auf, Westberlin als Feindesland des Kapitalismus abzulehnen und Stalin in den Himmel zu heben. Nicht von ihren Eltern habe sie diese Maxime erworben, es habe einfach so in ihr geglüht, erzählt sie. Als Bibliotheksfacharbeitern und anschließend als Schauspielerin wurde sie ausgebildet, trat bereits als Jugendliche als Sängerin und Liedermacherin auf, etwa bei Veranstaltungen des DFD (Demokratischer Frauenbund Deutschlands) , und war in Künstler*innenkreisen aktiv. Von ihrem ersten Partner, dem Schriftsteller Thomas Brasch (vgl. auch Familie Brasch und Lieber Thomas), wurde sie schwanger, kurz darauf verlassen und bekam dann mit 21 Jahren ihr erstes Kind. Die bewegten 1960er Jahre. Als sie in Folge der Selbstverbrennung Jan Palachs als Protest gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings selbst Flugblätter gegen das Vorgehen des Warschauer Pakts verteilte, wurde sie verhaftet. Die Befragungen der Stasi, auf die Wegner verhalten, aber gutgläubig und ehrlich zu antworten scheint, bindet Pehnert immer wieder in sein Porträt ein. Gegen Dinge, die ihr unrecht vorkamen, etwas zu unternehmen, sei ihr früh ein Anliegen gewesen, erklärt sie den Beamt*innen etwa – einer Strafe entging sie freilich nicht.

Nach der Haftstrafe wurde Wegner zur zweijährigen „Bewährung in die Produktion“ geschickt, also zur Arbeit in die Fabrik, die sie, nachdem sie in Kombination mit der Pflege ihres Kleinkinds zur völligen Erschöpfung gelangte, aufgeben durfte, um den Rest der Strafe in ihrem erlernten Bibliothekarinnenberuf abzuleisten. Einige Zeit und auch Lockerungen der SED-Führung später konnte sie als freiberufliche Sängerin ihren Unterhalt bestreben. Bald nach der Unterzeichnung der Petition gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns im Jahr 1976 geriet jedoch auch Wegner vermehrt ins Visier der Staatssicherheit und wurde mit indirekten Aufforderungen dazu konfrontiert, ihren Lebensmittelpunkt in den Westen zu verlagern. Ab 1980 pendelte Wegner mehrere Jahre, trat im Westen auf – ihr Lied „Sind so kleine Hände“ wurde zum großen Erfolg –, während sie im Osten lebte, doch auch das war dem Staat bald ein Dorn im Auge. Wegner wollte keinesfalls in den Westen, von etwaigen Repressalien der Stasi berichtet sie in den ausgewählten Interviewausschnitten in Bettina nicht. Sogar ihre Arbeit wollte sie ganz aufgeben, um nur in ihrer Umgebung zu bleiben, erzählt sie heute von der Lage, in der sie sich als in Ostberlin tief verwurzelte 36-jährige befand. Doch ihr blieb keine Wahl. Im Westen habe sie sich nie wieder zuhause gefühlt und der Traum von einem sozialistischen Staat ging mit der deutschen Einheit verloren – in Wegners Stimme schwingt Wehmut mit.

Bettina bietet zweifelsohne interessante Einblicke in das Leben, Leiden und Lieben einer ostdeutschen Künstlerin, die mit Humor und Trauer zugleich auf vergangene Zeiten zurückblickt und heute auch noch hin und wieder auftritt. Immer wieder sei er Wegner nach der Wende über den Weg gelaufen, berichtet Regisseur Lutz Pehnert, der selbst in Ost-Berlin groß geworden war, in seinem Regiestatement. Die Stärke seines Films liegt in dem Raum, den er den Gedanken und Werken der berlinernden Liedermacherin gewährt. Auch durch die Erwähnung von Initiativen wie den Kramladen und Eintopp (oppositionelle Veranstaltungen und Veranstaltungsreihen der Freien Deutschen Jugend in der DDR)  lässt Bettina ein Stück weit deutsche Musikgeschichte wieder erwachen und bringt die Essenz hinter Bettina-Texten wie „Heimweh nach Heimat“ im Sinne der Gefühlswelt seiner Protagonistin nach dem Film näher.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/bettina-2022