Brainwashed: Sex-Camera-Power (2022)

Die Macht der Bilder

Eine Filmkritik von Arabella Wintermayr

Die prekäre Situation von Frauen in der Filmwelt ist spätestens seit dem Weinstein-Skandal einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Die #MeToo-Bewegung lenkte die Aufmerksamkeit darauf, dass sexuelle Belästigung und Übergriffe in Hollywood mehr die Regel als die Ausnahme darstellen. In diesem Zuge wurde auch die schon viel ältere Debatte um die Darstellung von Frauen im Kino wieder aufgegriffen: Schlagworte wie der "Male Gaze" oder der "Bechdel Test", mit dem in einem einfachen Verfahren der Anteil und die Art der Repräsentation weiblicher Figuren geprüft werden, erlebten eine Konjunktur. 

Die Diskriminierung von Frauen vor und hinter der Kamera ist also allgemein bekannt. Dass gleichsam bei weitem noch nicht alles darüber gesagt ist, führt Nina Menkes, selbst Filmemacherin und Lehrbeauftragte am California Institute of the Arts, in ihrem faszinierenden Dokumentarfilm Brainwashed: Sex-Camera-Power eindrucksvoll vor Augen. Eingebettet in einen ebenso lehrreichen wie mitreißenden Vortrag, den Menkes über zwei Dekaden hinweg fortwährend aktualisierte, seziert er die besondere Inszenierung von weiblichen Figuren.

Kritisiert wird also nicht primär, dass es gerade in großen Blockbustern weiterhin weniger Protagonistinnen als Protagonisten gibt, dass Frauen oftmals nach wie vor auf die Rolle der Unterstützerin des männlichen Helden reduziert werden und dabei häufig nur über einen winzigen Redeanteil verfügen. Worauf Menkes hinauswill, ist wesentlich subtiler. Und damit um einiges gefährlicher. Sie rückt die objektifizierende visuelle Sprache in den Fokus, mit der Frauen im Kino seit jeher abgebildet werden – und zeigt gleichsam auf, was dies mit dem ungleichen Machtverhältnis in der Filmbranche und der "Rape Culture" im Allgemeinen zu tun hat. 

Ihre Ausführungen, die sie bereits bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes und dem Sundance Film Festival präsentierte, kreisen um die verschiedenen Aspekte besagter Bildsprache. Mit 175 Szenen aus der Kinogeschichte belegt sie ihre Thesen. Meist handelt es sich dabei um überaus prominente Beispiele, nahezu ausschließlich Werke namhafter Regisseur*innen, von Orson Welles über Stanley Kubrick bis Denis Villeneuve, werden thematisiert, um zu zeigen, wie grassierend das Problem ist. Brainwashed: Sex-Camera-Power lässt das Gezeigte dabei von zahlreichen Interviewpartner*innen wie etwa Schauspielerin und Aktivistin Rosanna Arquette (Die Zeit nach Mitternacht), Intimacy-Koordinatorin Ita O'Brien (Normal People) oder Serienschöpfer*in Joey Soloway (Transparent) kommentieren.

Anhand von Filmen wie Once Upon a Time… in Hollywood von Quentin Tarantino oder Paul Thomas Andersons Der seidene Faden zeigt Menkes zunächst auf, dass die Perspektive, aus der Frauen gefilmt werden, meist der des männlichen Gegenübers entspricht. Entweder blickt die Kamera über dessen Schulter oder assoziiert durch einen entsprechenden Schnitt, dass das Publikum gemeinsam mit ihm auf die weibliche Figur schaut. 

Dass genderbestimmte Filmtechniken sehr routiniert zum Einsatz kommen, lasse sich daran erkennen, dass selbst Filmemacherinnen auf sogenannte ausschließlich für Frauen reservierte "fragmented shots" - neben besagter Perspektive ein weiterer Baustein objektifizierender visueller Sprache - zurückgreifen. Während Regisseurin und Drehbuchautorin Sofia Coppola in Lost in Translation ihre männliche Hauptfigur, gespielt von Bill Murray, durch eine alltägliche Situation, eine Taxifahrt, einführt, begegnet das Publikum als Erstes nicht etwa Scarlett Johanssons Gesicht, sondern ihrem nur von einem halbdurchsichtigen Slip bedeckten Po. 

Brainwashed: Sex-Camera-Power argumentiert überzeugend, dass diese "To-Be-Looked-At-Ness", wie es Filmtheoretikerin Laura Mulvey ausdrückte, die sich außerdem aus besonders langsamen, "sexy" Kamerafahrten über weibliche Körper, eine eigene Beleuchtung, die sie (anders als Männer, denen die ein oder andere Falte "Charakter" verleiht, anstatt sie zu "entstellen") besonders makellos erscheinen lassen sollen, zusammensetzt, reale Folgen für die reale Welt mit sich bringt. 

Filme etwa, die diese Bildsprache, an die das Sehverhalten des Publikums so sehr gewöhnt ist, nicht bedienen, fallen nicht nur durch Finanzierungsraster, sondern werden auch seltener als gut erachtet, wie der geringe Anteil an Filmen von weiblichen Regisseurinnen unter den bestbewerteten Titeln der Kinogeschichte zeigt. Aber Brainwashed: Sex-Camera-Power geht noch weiter und mahnt, dass die Objektifizierung von Frauen sexuelle Übergriffe begünstige. Auch weil Filme wie Spike Lees Do The Right Thing oder Ridley Scotts Blade Runner suggerieren, dass mit etwas Nachdruck aus dem Nein einer Frau durchaus ein Ja werden könne. 

Menkes verleiht alldem zusätzliche Schlagkraft, indem sie nicht aus den Augen verliert, dass auch Männerkörper sexualisiert dargestellt werden. Mit Beispielen wie Magic Mike unterstreicht sie allerdings, dass dies anders als bei Frauen nicht mit einer Objektifizierung einhergehe: Matthew McConaughey und seine Schauspielkollegen etwa werden selbst beim Striptease in Gänze gezeigt, auf besagte "fragmented shots" oder den Einsatz von Slow-Motion wird verzichtet. 

Brainwashed: Sex-Camera-Power ist somit nicht nur eine überzeugende Untersuchung, wie patriarchale Strukturen vor, hinter und jenseits der Kamera miteinander verknüpft sind, sondern ein kraftvolles Plädoyer dafür, dass sich die Art und Weise, wie Filme produziert werden, von Grund auf verändern muss, um gesellschaftlichen Wandel zu begünstigen. Dass es sich dabei nicht um ein Projekt handelt, dass von heute auf morgen gelingen kann, ist klar. Aber Nina Menkes' Dokumentarfilm leistet einen wichtigen Beitrag – denn so viel steht fest: Wer sich mit ihrer Analyse auseinandergesetzt hat, wird Filme künftig mit anderen Augen sehen. 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/brainwashed-sex-camera-power-2022