Drei Winter (2022)

Im Obenland

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Marco (Simon Wisler) ist ein Mann wie ein Baum. Breitschultrig, mit einem Stiernacken und einem gewaltigen Bauch ausgestattet, ist der kurzgeschorene Mann einer, dem man auf den ersten Blick ansieht, dass er es gewohnt ist, schwere körperliche Arbeit zu verrichten. Gleich zu Beginn von Michael Kochs Film, der in den Bergen des Schweizer Kantons Uri spielt, sehen wir seinen gewaltigen Rücken bei der Arbeit, mit Wucht treibt er mit einem Vorschlaghammer Holzpflöcke in den Boden.

Fast eine Stunde dauert es, bis im Film zum ersten Mal Marcos Name fällt. Vorher ist er ein Namenloser, einer aus dem Unterland fast ohne Vorgeschichte und dazu noch einer, der viel mehr schweigt als redet. Einer, der im Gasthaus abseits von den Einheimischen sitzt. Und dennoch scheint er endlich angekommen zu sein, mit der zierlichen Kellnerin und Postbotin Anna (Michèle Brand) verbindet ihn aller körperlichen Unterschiede zum Trotz eine Liebe, die bald zur Heirat der beiden führen wird. Doch ist es wirklich Liebe, die die beiden zusammengeführt hat, oder geht es nicht viel eher um das Bilden einer Versorgungsgemeinschaft, die vor allem Anna wegen ihrer Tochter aus einer anderen Beziehung eingehen will? Sind die Gesten der Zärtlichkeit und der Zuneigung wirklich echt? Und ist das Fundament für diese Beziehung innerhalb einer archaisch anmutenden dörflichen Gemeinschaft mitten in den Alpen wirklich solide genug? Als bei Marco ein Gehirntumor diagnostiziert und er operiert wird, muss sich diese Verbindung bewähren - und scheitert mit erheblicher Grausamkeit an der Unbarmherzigkeit der Erkrankung, die Marcos Impulskontrolle außer Kraft setzt.

Michael Kochs überwiegend sehr überzeugendes Drama um eine Beziehung und deren Scheitern setzt vor allem auf die Macht der Bilder. Prächtige Landschaftspanoramen, Detailaufnahmen harter körperlicher Arbeit, dazu immer wieder außergewöhnliche Bildausschnitte, bis aufs Äußerte verknappte Dialoge und ein pointierter Musikeinsatz geben Drii Winter eine fast asketische, zugleich aber sehr intensive Anmutung, der man sich nur schwer entziehen kann. 

Zwischendrin lässt Koch einen Gesangsverein in Tracht inmitten der majestätischen Landschaft auftreten, dessen Lieder die Handlung fast nach Art des Chores in einer klassischen griechischen Tragödie kommentieren. Als sich Marcos Gesundheitszustand immer weiter verschlechtert, intoniert die Gruppe Johann Sebastian Bachs Komm, süßer Tod.

Andere Einschübe hingegen wirken unmotiviert und sprengen den Rahmen der eigentlich recht stringenten Geschichte: Wenn beispielsweise eine Bollywood-Filmcrew auftaucht und Drii Winter zwischendrin mit einer indischen Tanzeinlage abrupt die Tonalität ändert, dann nimmt sich dies wie ein Fremdkörper aus. Und auch eine weitere Tanzeinlage, die in Annas Gymnastikrunde stattfindet, wirkt seltsam deplatziert und unmotiviert und führt eher auf Nebenwege.

Ansonsten aber ist Drii Winter ein raues und fast schon puristisch anmutendes Heimatdrama aus der Schweiz, dem man ein Nachleben nach der Premiere im Wettbewerb der Berlinale 2022 wünschen würde.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/drei-winter-2022