In einem Land, das es nicht mehr gibt (2022)

Der Traum von Freiheit

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

„Glamourös, betörend, auserlesen“ – das ist der Mode-Underground in Ostberlin, eine subkulturelle Bewegung von jungen Menschen, die ihre eigene Mode machen. Sie nehmen Duschvorhänge, Folien und andere Materialien, die sie finden, und verwandeln sie in schillernde Kostüme und auffallende Looks. Die alternative Modeszene der DDR ist das Milieu, in dem der neue Film von Aelrun Goette spielt: In einem Land, das es nicht mehr gibt, und sie ist der Schauplatz, an dem Freiheit möglich ist.

Weil sie mit Orwells Buch 1984 in der Tasche erwischt wird, fliegt Suzie (Marlene Burow) kurz vor dem Abitur von der Schule. Aus sind der Traum vom Literaturstudium und dem Leben als Schriftstellerin. Nun soll sie nämlich in einem Kabelwerk zu einem funktionierenden Mitglied der Gemeinschaft erzogen werden und ihren Beitrag zur sozialistischen Gesellschaft leisten. Und dann kommt es noch einmal anders. Auf ihrem Weg zur Arbeit, wird Suzie unbemerkt fotografiert, ziert in der nächsten Ausgabe das Editorial der Modezeitschrift Sibylle und soll deren Gesicht werden.

Das ist die andere Welt, in die der Film Einblicke gewährt: Die Welt der offiziellen Mode der DDR, die in der Sibylle und auf Laufstegen in Leipzig präsentiert wird. Sie folgt bestimmten Regeln und dem Wunsch nach Konformität. Aber Suzie muss lernen, dass sie mehr benötigt als ein schönes Gesicht, gute Fotos und der gerade Gang auf High Heels, um in der Branche zu bestehen, und dass es noch mehr Einfallskraft, Mut und Willen braucht, um innerhalb des Konformismus ihre Freiheitsliebe auszuleben und ihren Weg zu finden.

In einem Land, das es nicht mehr gibt erzählt eine überzeugende Coming of Age-Geschichte: Suzie wird im Lauf der Ereignisse nicht nur zum Gesicht der Republik, zu einem Star des Ostens, sondern auch erwachsen und reifer, als sie es mit jedem Abitur geworden wäre, aber auch selbstbewusster und ein Stückchen freier.

Auf ihrem Weg helfen ihr Menschen wie Freigeist Rudi (Sabin Tambrea), Chefredakteurin Elsa Wilbrodt (Claudia Michelsen) oder Facharbeiterin Gisela (Jördis Triebel); andere wie Mannequin Uta (Sira Topic) dagegen legen ihr Steine in den Weg. Und dann ist da noch Fotograf Coyote (David Schütter), der sich nicht an die Regeln hält, aber immer die richtigen Momente abpasst, um auf den Auslöser zu drücken, und deshalb so faszinierende Bilder macht. Er hat jedoch ganz andere Pläne.

Aelrun Goette selbst wurde Ende der 80er Jahre auf einer Straße in Ostberlin als Model entdeckt und weiß, welche Geschichte sie erzählt. Das merkt man dem Film an, insbesondere der Figur der Suzie und deren Zweifeln, den Unsicherheiten und Fragen im Gesicht – überzeugend gespielt von Marlene Burow. Sie ist die Identifikationsfigur des Films, und man kann sich sehr gut in das 18-jährige Mädchen einfühlen, dass hin- und hergeworfen ist zwischen der eigenen Herkunft, den familiären Erwartungen und dem Verfolgen der eigenen Träume.

Darüber hinaus gewinnt der Film durch seine guten Milieustudien, eingefangen von Benedict Neuenfels: Die offizielle Modewelt bedient sich zwar vieler Klischees, wird dadurch aber auch für jüngere Zuschauer:innen greifbar. Im Milieu der Subkulturen würde man sich gerne noch ein wenig länger aufhalten und all die wunderbaren Details bewundern, die der Film präsentiert, allen voran die Kostüme von Regina Tiedeken.

In einem Land, das es nicht mehr gibt spielt im Jahr 1989, also kurz vor Ende der Deutschen Demokratischen Republik, und das nahe Ende ist schon spürbar, der Protest, der Wandel und die leidenschaftlich herbeigesehnte Freiheit lauern an jeder Ecke. Und genau das ist der Coup und führt das Festhalten an den Strukturen einer konformen Gesellschaft einmal mehr ad absurdum – zumindest für ein Publikum, das weiß, wie es weiterging im Herbst 1989.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/in-einem-land-das-es-nicht-mehr-gibt-2022