Mit Herz und Hund (2020)

Spätes Glück beim Gassigehen

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Als sich der Rentner Dave (Dave Johns) und die Endsechzigerin Fern (Alison Steadman) zum ersten Mal über den Weg laufen, sieht es nicht aus, als könnten sie jemals Freunde werden. Fern muss auf dem Fußpfad mit ihrem Yorkshire-Terrier an Dave und seiner Schäferhündin vorbei, die er nicht angeleint hat. Fern beschwert sich darüber. Bald stellt sich heraus, dass Fern und Dave auch dieselbe Wiese im Norden Londons für ihre Spaziergänge bevorzugen. Während der Yorkshire-Terrier Henry und die alte Schäferhündin Tillie schon vergnügt herumtollen, bleibt Fern skeptisch. Dave hingegen gibt sich alle Mühe, die neue Bekanntschaft in freundschaftliche Bahnen zu lenken und zu vertiefen.

Mit dezentem Humor erzählt dieser britische Spielfilm des Regisseurs und Drehbuchautors Paul Morrison (Little Ashes – Kunst. Liebe. Verrat) von der Schwierigkeit, sich in reifem Alter auf eine neue Beziehung einzulassen. Die Hunde sind das verbindende Element, das Dave und Fern einen Grund liefert, überhaupt ins Gespräch zu kommen und sich zu gemeinsamen Spaziergängen zu verabreden. Die Hunde sind aber keineswegs die Hauptfiguren in dieser Geschichte, für deren Wirkung es eigentlich unwichtig ist, ob man Hunde mag oder eher nicht. Die Tiere helfen den beiden linkischen Menschen über holprige Situationen hinweg. Diese gewisse Gespreiztheit zwischen Dave  und Fern, die mit dem Charme einer neuen Chance einhergeht, lotet Morrison mit trockenem englischen Humor aus.

23 Walks heißt der Film im Original, und die Handlung wird entsprechend in Form der einzelnen Spaziergänge mit Hund erzählt. Auf Walk 7 folgt Walk 9 und so weiter, eine entsprechende Texteinblendung hält die Zuschauer auf dem laufenden. Auf diese Weise kann es praktisch nie zu schmalzig werden, zu ernst oder generell zu gefühlig. Wobei Schäferhündin Tillie schon ein paar sehr bewegende Szenen bekommt, aber da ist die Handlung schon weit genug fortgeschritten, um diese punktuelle emotionale Vertiefung zu vertragen. Während sich Dave und Fern beim Flirten und Fremdeln witzige, authentisch wirkende Dialoge liefern, beginnt sich der ernste Hintergrund der Geschichte abzuzeichnen. Die beiden Menschen haben in ihrem Leben schon einen weiten Weg zurückgelegt und sich Wunden und Narben zugezogen. Sie haben nicht mehr den unverbrauchten Optimismus und die Zuversicht junger Jahre.

Besonders deutlich wird dieses innere Drama bei Dave, der im Grunde eine Seele von Mensch ist. Wie sehr er mit seiner Herzlichkeit, seinem Ideenreichtum und der verständnisvollen Toleranz eines Gentlemans Fern auch umwirbt, so muss er doch feststellen, dass er vielleicht zu naiv und auch zu ungeschickt auftritt. Er ist derjenige, der Fern zu sich einlädt, zum Damespiel, zum spontanen Tanzen, in dessen Unbekümmertheit aber auch die soziale Schicht aufscheint, der er angehört. Dave war Krankenpfleger, nun aber reicht seine Rente auf einmal nicht mehr, um die Miete zu bezahlen. Dass er den Grund dafür Fern zunächst verheimlicht, wird ihn fast ihre Freundschaft kosten. Streckenweise erinnert sein Schicksal an die sozialkritischen Filme Ken Loachs, nicht nur, weil Hauptdarsteller Dave Johns auch die Titelfigur in Ich, Daniel Blake spielte. Die Art und Weise, wie Dave vom Wohnungsamt in eine Bruchbude in einem anderen Stadtviertel abgeschoben wird, wirft einmal mehr ein Schlaglicht auf die bürokratische Gleichgültigkeit gegenüber Menschen, die unverschuldet in Not geraten.

Fern, von Alison Steadman als selbstbewusste, sorgfältig zwischen Unternehmungslust und Reserviertheit abwägende Frau gespielt, stammt aus der Mittelschicht. Sie hat mehr Geld als Dave, aber auch eine stärkere innere Verletzlichkeit. Immer wieder zieht sich Fern spontan zurück oder reagiert so angefasst auf einen Fehler Daves, dass sie beinahe schon zum unberechenbaren Charakter wird. Manchmal muten ihr Benehmen und ihr Anspruchsdenken etwas nervig an. Aber die lebhafte, sonnige Art, mit der Alison Steadman ihre Figur ebenfalls ausstattet, hält die Rolle letztlich im Lot.

Die Schmunzelkomödie mit den melancholisch-philosophischen Untertönen bietet reife Unterhaltung. Dafür muss man seinen Verstand aber nicht anstrengen, sondern kann sich einfach mitnehmen lassen auf die Spaziergänge zu wechselnden Jahreszeiten. Die Parks und Wiesen in und um London muten lieblich an, die Aussicht von den Hügeln oder dem Waldrand sorgt für ein Gefühl  heiterer Entspannung. Man meint zu spüren, dass Dave und Fern mit ihren Hunden gerne ein Fleckchen freier Natur aufsuchen, um aufatmen zu können. Morrisons Film bewahrt sich eine leichte Beiläufigkeit, ohne je zu langweilen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/mit-herz-und-hund-2020