The Witcher (Staffel 2, 2021)

Von Chaos umgeben

Eine Filmkritik von Arabella Wintermayr

„Chaos ist die gefährlichste Sache auf dieser Welt. Es ist um uns herum, die ganze Zeit. Unbeständig und mächtig“, erklärt Zauberin Tissaia de Vries (MyAnna Buring) ihren Schülerinnen an der Magieschule Aretus im Laufe der ersten Staffel beinahe prophetisch. In der wohl brutalsten Form des Chaos, das die Menschheit kennt, dem Krieg, kulminierte sie dann auch: Mit der episch inszenierten „Schlacht von Sodden“ endete der Auftakt der Fantasy-Serie "The Witcher". 

Obwohl sie sich, basierend auf der Buchreihe des polnischen Autors Andrzej Sapkowski und dem gleichnamigen Videospielkosmos, schnell als nächster Netflix-Hit entpuppte, sah sie sich einer hartnäckigen Kritik gegenüber: die chaotisch wirkende Erzählstruktur. Unzählige Zeitsprünge sorgten bei den Zuschauer*innen für Unzufriedenheit. Zu unklar war, wie das eine Ereignis mit dem nächsten zusammenhängt und wie viele Monate, Jahre oder sogar Dekaden zwischen ihnen liegen. Der Streaming-Anbieter reagierte damals sogar mit einer interaktiven Karte inklusive Zeitstrahl, um einen Überblick zu geben. 

Und so ist auch die erste Verbesserung, die an der zweiten Staffel auffällt, dass sich Showrunnerin Lauren Schmidt Hissrich für mehr Linearität entschieden hat. Die zweite Staffel beginnt sogar exakt dort, wo die erste endete: Geralt von Riva (Henry Cavill) irrt mit Ziehtochter Cirilla (Freya Allan) über das Schlachtfeld, auf der Suche nach seiner Geliebten Yennefer von Vengerberg (Anya Chalotra). Die scheint jedoch nach der Aufbietung all ihrer magischen Kräfte gegen das Heer aus Nilfgaard und den Zauberinnen um Fringilla (Mimi Ndiweni) verschwunden, vielleicht sogar tot, zu sein. 
Dass dem nicht so ist, überrascht angesichts der großen Angst, die Buch-, Videospiel- und eben auch TV-Reihen davor haben, geliebte Figuren zu opfern, nicht wirklich. Die Anstrengung ist allerdings trotzdem nicht spurlos an ihr vorbeigegangen. Denn wie Tissaia de Vries in der oben zitierten Sequenz ebenfalls erläuterte: Magie bringt nicht nur Ordnung in das Chaos. Chaos ist auch die Kraft, aus der die Magie schöpft. Und das fordert in der ein oder anderen Form immer seinen Tribut.

Das große Mysterium um die magischen Elemente in der Welt von The Witcher, ihr schrittweises Entschlüsseln, machen auch in den neuen acht Folgen einen großen Reiz der Serie aus. Hauptsächlich durch zwei Perspektiven wirft die Fortsetzung einen Blick auf die Zusammenhänge: Während sich Geralt mit Cirilla in die Hexer-Festung Kaer Morhen aufmacht, wo sie nicht nur in Kampftechniken geschult, sondern nach und nach auch mehr über ihre Kräfte und deren Ursprung erfährt, sucht Yennefer nach besagter einschneidender Schlacht einen neuen Platz in der Welt.

Ihre ganz persönliche Tour de Force bringt sie unter anderem zu den Elfen. Deren Verfolgung und drohende Auslöschung durch die nördlichen Königreiche setzt eine Fluchtbewegung in Gang und beschwört neue Allianzen herauf. Es ist der Handlungsstrang, der wohl die politischsten Momente der Serie enthält, der den Bezug der Fantasy zu den Verwerfungen der realen Welt am deutlichsten macht. Von seiner Leichtigkeit hat The Witcher allerdings nichts verloren. Wie schon in der ersten Staffel gelingt erneut das unwahrscheinliche Kunststück, trotz des ein oder anderen derben Witzes auf Pubertierenden-Niveau nicht flach, sondern wohltuend selbstironisch und charmant zu wirken.

Durch diese über weite Strecken eingehaltene Geralt-Yennefer-Dichotomie ist neben der Erzählstruktur auch der -fokus präziser geworden. Ein unterkomplexer Vertreter seines Genres zu sein, ist dennoch keine Gefahr, die The Witcher droht. Das Gegenteil ist der Fall, man nimmt sich sogar spürbar mehr Zeit für das gerade im Fantasy-Bereich so wichtige Worldbuilding. Über neue Nebenfiguren wie den väterlichen Hexer-Ausbilder Vesemir (Kim Bodnia) werden etwa mehr Details über die Hexer-Zunft eingeflochten.

Das Interesse, mehr zu erklären, äußert sich schließlich auch darin, dass die Dialoge gegenüber den gewohnt blutrünstigen Actionsequenzen in den Vordergrund treten. Das kommt der Tiefe der Figuren zugute, deren Handeln nun nachvollziehbarer scheint, ebenso ihre Beziehungen zueinander. Insbesondere Geralt, der es zuvor nur selten über ein missmutiges Grummeln hinausgeschafft hat, wird so greifbarer. 

Doch auch wenn die Frage, ob, wann und wie sich Yennefer und Geralt wiedersehen werden, über einen Großteil der Folgen trägt, schwebt über allem doch das viel größere Rätsel, ob Cirilla womöglich „ein Teil von jener Kraft, die stets das Gute will und stets das Böse schafft“ sein könnte – und ob man auch dem durch sie heraufbeschworenen Chaos mit Ordnung beikommen kann. Um das zu beantworten, wird es wohl noch einige The Witcher-Staffeln brauchen. Sollten sich die in ähnlich hoher Qualität präsentieren, dürfte einer Verlängerung über die bereits bestätigte dritte Staffel hinaus nichts im Weg stehen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/the-witcher-staffel-2-2021