Eingeschlossene Gesellschaft (2022)

Mangelhaftes Vergnügen

Eine Filmkritik von Matthias Pfeiffer

Zur Eskalation braucht es nicht viel. Häufig genügen schon ein paar Leute im selben Raum. Das Genre des Kammerspiels zeigt das in der Film- und Theatergeschichte immer wieder auf wunderbare Weise. Mit „Eingeschlossene Gesellschaft“ bringt nun Sönke Wortmann ein solches auf die Leinwand, angesiedelt im Lehrerzimmer. Mit „Der Vorname“ (2018) wagte sich der Veteran der deutschen Komödie bereits auf eben jenes Gebiet. Nun hat er es wieder getan. Dass beim neuesten Vorhaben die neuen „Zwölf Geschworenen“ herauskommen, war natürlich nicht zu erwarten, doch auch wenn man niedriger stapelt, klingt die Grundsituation durchaus interessant

Vorerst sieht alles nach einem verdienten Start ins Wochenende aus. Sechs Lehrkörper und eine Referendarin haben sich gedanklich größtenteils schon von den Pflichten verabschiedet, als plötzlich ein besorgter Vater (Thorsten Merten) im Raum steht, der sich nicht abwimmeln lässt. Sein Sohnemann hat um einen Punkt die Zulassung zum Abitur verpasst und bittet inständig darum, das Ergebnis noch einmal zu überdenken. Der zuständige Lehrer Klaus Engelhardt (Justus von Dohnanyi) ist jedoch ein formvollendeter Spießer und Prinzipienreiter, sodass der arme Mann bei ihm auf Granit beißt. Doch einen Trumpf hat der Vater noch in der Hinterhand: eine geladene Schusswaffe. Kurzerhand nimmt er die sieben Pädagogen als Geisel und lässt ihnen eine Stunde Bedenkzeit, um über die Zukunft seines Sohnes zu entscheiden. Keine einfache Lage, doch mit etwas Abwägen und Miteinander sollte das funktionieren. Als Zuschauer weiß man natürlich schon jetzt, dass das von dieser Pädagogen-Parade zu viel verlangt ist.

Sieht man sich den Reigen der Figuren an, wird schnell deutlich, dass Eingeschlossene Gesellschaft möglichst viele Gegensätze auf engstem Raum vereinen will. Da wäre neben dem spießigen Engelhardt noch Florian David Fitz als dynamischer und lockerer Sportlehrer, Anke Engelke als giftige Kulturpessimistin, Thomas Loibl in der Rolle des schülernahen Menschenfreundes, der nerdige Chemielehrer, gespielt von Torben Kessler und Nilam Farooq, die als junge Außenstehende noch die normalste von allen darstellt. Sehr schnell sieht man an diesem Ensemble, dass man es eher mit Typen als mit wirklichen Charakteren zu tun hat. Bei einer Komödie kann man da natürlich ein Auge zudrücken, doch im Fall von Eingeschlossene Gesellschaft sind die Klischees derart penetrant, dass einem der Spaß schnell vergeht.

Wie man sich denken kann, wird viel Schmutzwäsche gewaschen, kleine und große Skandale werden auf den Tisch geknallt, bis man es letzten Endes mit einem Haufen von Heuchlern, Frustrierten und Egoisten zu tun hat. Egal, wie sympathisch einzelne Figuren zu Anfang sind, spätestens nachdem die Lehrerakten aus dem Archiv geholt werden, sitzen nur noch schlechte Menschen im Raum. Die Versuche, die Hintergründe dieser Figuren zu durchleuchten, bleiben so flach wie sie selbst. Besonders bei der von Engelke eigentlich schön verkörperten Frau Lohmann kommt es einem vor, als sei deren Geschichte kurz in der Kaffeepause ersonnen worden. Auch die Referendarin Sarah, die als offensichtliche Sympathieträgerin das Gleichgewicht halten soll, ist als gendernde und selbstbewusste Idealistin kein wahrer Gegenpol. Wo die anderen überwiegend verkommen und verzweifelt sind, wirkt sie so korrekt, dass man es im Gesamtbild genauso wenig ernst nehmen kann.

Was den Humor angeht, braucht man genauso wenig Subtilität erwarten. Auch wenn die mal mehr, mal weniger harten Sticheleien unter den Eingeschlossenen immer mal wieder sitzen, im Großen und Ganzen setzt dieser Film auf Krawall; zuweilen knallt der Schenkelklopfer. Dazwischen werden über das Publikum der ein oder andere Eimer Pathos ausgeschüttet. In einer Szene wird von Bernd Vogel, dem sonst schüchternen Chemie-Freak, eine Rede über das wirklich Wichtige im Leben gehalten. Noten seien schließlich relativ und den Kindern sollten viel wichtigere Dinge mitgegeben werden. Unweigerlich denkt man da an die einstudierten Reden der eigenen Lehrer, die bei Abschlussfesten oder ähnlich steifen Veranstaltungen gehalten wurden. Und genauso wenig ernst kann man diese Momente auch in einem Film nehmen, der nicht einmal die eigenen Figuren ernst nimmt.

Was lernt man nun aus Eingeschlossene Gesellschaft? Jedenfalls nichts über den Menschen in Ausnahmesituationen, das deutsche Schulsystem oder das Verhältnis von Recht und Unrecht. Letzteres wird zwar angesprochen, schließlich will sich der verzweifelte Vater die Gerechtigkeit durch ein Verbrechen erbeuten, doch über die reine Oberfläche kommt man nicht heraus. Die feine Entlarvung von Charakteren, zu der das Kammerspiel fähig ist, wird hier geopfert, um einen Paukenschlag nach dem nächsten abzugeben - und davon trifft noch dazu kaum einer richtig. Damit haben Sönke Wortmann und Drehbuchautor Jan Weiler einiges an Potenzial verschenkt, die dieser Geschichte durchaus innewohnt. Aber man hat zumindest das Gefühl, dass sie sich stets bemüht haben, etwas Gutes zu schaffen. Was das heißt, weiß ja jeder, der sich etwas mit Zeugnissen auskennt.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/eingeschlossene-gesellschaft-2022