To Kill the Beast (2021)

Durchfurchte Bilder

Eine Filmkritik von Sebastian Seidler

Irgendwo an der Grenze von Argentinien zu Brasilien sucht die 17-jährige Emilia (Tamara Rocca) ihren Bruder, zu dem sie vor einiger Zeit den Kontakt abgebrochen hat. Die Mutter ist gestorben, was die junge Frau sichtlich aus dem Gleichgewicht gebracht hat. Am Rande des Dschungels kommt sie im heruntergekommenen Hostel ihrer unterkühlten Tante (Ana Brun) unter. Angeblich treibt in der Gegend ein Biest sein Unwesen; ein böser Mann, der sich in Tiere verwandeln kann, streift durch die Finsternis. Nacht für Nacht machen die Bewohner_Innen des Dorfes Jagd auf das Wesen, das es vor allem auf Frauen abgesehen hat. Emilia aber hat nur Augen für die junge Frau, die im Zimmer neben ihr eingezogen ist. Wenn da nur nicht diese Angst wäre, der sie sich endlich stellen muss.

Im Grunde geht es bei To Kill The Beast nicht so sehr um eine Handlung, zumindest im klassischen Sinn. Das Storytelling ist brüchig, sprunghaft und schwebend. Die Geschichte bleibt bis zum Ende eine Andeutung. Handelt der Film von Trauer? Von der Suche nach sexueller Identität? Oder dem Aufarbeiten einer tragischen Familiengeschichte? Möglicherweise geht es um all diese Dinge. So sehr andere Filme an solchen Uneindeutigkeiten scheitern, so sehr ist To Kill The Beast ein Triumph atmosphärischer Intensität und filmischer Form, der sich in diesem Sinne am ehesten mit David Lowerys A Ghost Story vergleichen lässt.

Wären die Bilder nicht ständig von einer unheimlichen Stimmung durchzogen, man würde gerne hinein- oder hinabtauchen wollen. Man fühlt sich von der Tiefe, den Ebenen und den Furchen angezogen, möchte mit dem Fingernagel die Schichten abtragen, nur um einen Blick auf das Dahinter werfen zu können. Denn selten gibt es einen klaren Blick auf das Geschehen. Gefilmt wird durch Spiegel, in denen die Räume sich brechen und die Grenzen zwischen Innen- und Außenraum verwischen, sodass man sich immer erst orientieren muss. Nebelschwaden überdecken das Grün, schmutzige Fensterscheiben verdoppeln die Ebenen und im Hintergrund gibt es nie intakte Flächen; Tapeten sind abgerissen, der Putz bröckelt von den Wänden. Die Bilder werden dadurch zu Tableaux Vivants, zu sich bewegenden Bildern, in denen wir uns zurechtfühlen müssen. Auf diese Weise tauchen wir in eine Gefühlswelt ein, die zum Teil wohl auch die Welt von Emilia ist.

Agustina San Martín lässt in ihrem Spielfilmdebüt etwas aus der Tiefe aufsteigen -  eine Veränderung, vor der sich Emilia fürchtet. Ein Ereignis kündigt sich an, schält sich aus dem Untergrund hervor. Der Film bildet sich ausschließlich aus der weiblichen Perspektive, sucht nach einem ästhetischen Ausdruck für eine (sexuelle) Sinnlichkeit fern vom berüchtigten Male Gaze. Durch das fantastische Element des Biests bricht auch eine gesellschaftliche Dimension hinein. Dieser Aberglaube repräsentiert auch eine alte Ordnung, in der die Männer und vor allem die katholische Kirche das Sagen haben, wie es sich bei der gemeinsamen Jagd deutlich zeigt. Nicht umsonst überragt auch der Kirchturm einer leuchtenden Ermahnung gleich die anderen Häuser – gespenstisch und fremd, wie aus einer längst vergangenen Zeit. Immer noch sind die Mehrheit der Argentinier_Innen römisch-katholische Christen.   

Als Emila von Frauen zu einem Treffen in der Kirche eingeladen wird, bleibt sie der Veranstaltung fern. Sie bewegt sich durch den Film wie eine Außenseiterin, ist immer auf der Hut und fürchtet sich vor ihrem eigenen lesbischen Begehren. Zwar ist Homosexualität in Argentinien erlaubt und die gleichgeschlechtliche Ehe möglich. Doch grade auf dem Land sind Diskriminierung und Machokultur immer noch sehr präsent. So gesehen erzählt To Kill The Beast von einer gesellschaftlichen Zwischenzeit, in der weiterhin existenzielle Entscheidungen getroffen werden müssen. Vielleicht meint das Biest im Titel eben jenen Zustand des furchtsamen Zauderns vor dem eigenen, dem selbstbestimmten Leben. Vielleicht ist es aber auch wirklich diese Kuh, die wie ein Gespenst die Bilder durchstreift. Wer weiß das schon so genau, wenn er sich im Dazwischen befindet.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/to-kill-the-beast-2021