SEXarbeiterin

Lena im Glücksbärchiland

Eine Filmkritik von Thorsten Hanisch

Das ewige Reizthema Prostitution lässt sich mit gutem Gewissen auf zwei Pole runterbrechen: Auf der einen Seite steht – gerne und häufig unter der Leitung von Großinquisitorin Alice Schwarzer – eine Gruppe, der grundsätzlich jeder Sex außerhalb tradierter Normen suspekt ist, auf der anderen Seite stehen die "Sexarbeiterinnen", meist aus gutem Hause, die das Lied vom fröhlichen Anschaffen im Glücksbärchiland pfeifen. Die zweite Gruppe hat nun für die erste einen Film gedreht, der beweisen soll, dass in den letzten Jahren völlig umsonst literweise Herztropfen verbraucht wurden: Analmassagen gegen Bares? Auch nicht anders als das Kaufen von Speerholzplatten bei Obi.
Grundsätzlich hat die Günther-Jauch-erprobte Lena Morgenroth, eine zertifizierte "sexological Bodyworkerin", die in Berlin ihre Dienstleistungen anbietet und in diesem Dokumentarfilm portraitiert wird, ja schon Recht: Es würde viel Unbill verhindert werden, wenn man Sex entmystifizieren würde, als etwas "Normales" behandeln würde, denn unter der proklamierten Retter-Attitüde der Contra-Fraktion steckt immer in erster Linie eine erzkonservative Geisteshaltung, die vieles schlimm und Schlimmes noch viel schlimmer macht.

Man sollte aber auch nicht den Weg gehen, den SEXarbeiterin geht und sich ins eigene Hemd lügen. Natürlich hat dieses Business seine Schattenseiten! Natürlich gibt es Opfer! Über die finsteren Abgründe steigt der Film allerdings selbstgefällig hinweg: Als Morgenroth ihre Kundenliste im Smartphone vorliest und die Liste mit einer Reihe Namen beendet, die von ihr mit einem "Z" markiert worden sind, da sie bei diesen Klienten nicht mehr ans Telefon geht, wüsste man gerne wieso. Aber zack. Der Film ist schon in der nächsten Szene.

Auf hauchdünnem Eis bewegt sich die Freudenspenderin in ihren viel zu seltenen, ein bisschen hingeworfen klingenden Statements: Dass eine Supermarktkassiererin mit Sicherheit auch nicht aus reinem Spaß an der Freude arbeiten geht, ist zu kurz gedacht, denn dabei wird nonchalant ausgeblendet, dass nicht jede Prostituierte – wie eben Lena – in der Lage ist, zu bestimmen, was und mit wem sie arbeitet. Man hätte bei dieser Gelegenheit auch allzu gerne gewusst, warum die Portraitierte keinen Geschlechtsverkehr anbietet, wo doch alles so easy und pragmatisch ist.

Ebenso steil ist die These, dass die Realität der Sexarbeit nicht zu den patriarchalisch geprägten Vorstellungen passt, denn in Wirklichkeit haben ja die Anbieterinnen und nicht die Kunden das Sagen. Man wüsste wirklich allzu gerne, woher sie ihr Wissen nimmt, denn die Realität scheint gerne auch anders auszusehen.

Aber das ist das grundsätzliche Problem von SEXarbeiterin: Er bleibt komplett an der Oberfläche, er versagt als Statement, er versagt auch als Portrait (wer ist eigentlich Lena Morgenroth?) – stattdessen werden in erster Linie in 90 immer quälender werdenden Minuten Szenen von Lenas Zusammenkünften mit ihren Kunden an Szenen, die Lenas Alltag aufzeigen, aneinandergereiht. Natürlich in schwarz-weiß, dem Allheilmittel, um Bedeutung zu vermitteln, da wirkt dann auch das Leergut zum Container bringen wie ein erhabener Akt. Sowieso: Dass die Macher ihren Film großspurig in fünf Akte unterteilt haben, deren Ankündigungen von pathostriefender Musik begleitet wird, hat anhand der vorherrschenden Inhaltslosigkeit fast schon parodistische Züge.

Sicher, SEXarbeiterin hat ehrbare Absichten, aber er ist einfach zu naiv, zu selbstbesoffen, um die Diskussion mit etwas Substantiellen bereichern zu können.

Man wird einfach nicht das Gefühl los, einen überdimensionierten Imagefilm vor sich zu haben – Lena im Glücksbärchiland.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/sexarbeiterin