The Unforgivable (2021)

Niemals wirklich frei

Eine Filmkritik von Christian Neffe

Eigentlich sollte Ruth Slater (Sandra Bullock) 20 Jahre im Gefängnis verbringen. Wegen guter Führung darf sie ihre Zelle aber nun schon vorzeitig verlassen, packt ihre Sachen zusammen, ihr Bewährungshelfer Vincent (Rob Morgan) führt sie ans Tor, das sich schwerfällig öffnet. Und plötzlich ist sie da, die Freiheit, aber nur scheinbar. Denn auch außerhalb dieser Mauern ist Ruth keinesfalls frei. Nicht nur weil sie sich weiterhin an strenge Auflagen halten muss, sondern auch weil sie das Stigma ihres Vergehens stets mit sich tragen wird. Wohin sie auch gehe, erklärt Vincent ihr, sie werde überall nur die „Cop-Killerin“ sein.

Regelmäßig eingestreute Rückblicke zeigen, was sich vor ihrer Haftstrafe ereignet haben soll: Ruth, die sich nach dem Tod ihrer Eltern um ihre kleine Schwester Katie (Aisling Franciosi) kümmerte, weigerte sich, der schuldenbedingten Räumung ihres Hauses nachzukommen. Der örtliche Sheriff griff ein und wurde von ihr erschossen. Für Ruth folgte eine Verurteilung wegen Mordes, die damals fünfjährige Katie wurde adoptiert und lebt nun in wohlbehüteten Verhältnissen inmitten von Seattle. Erinnerungen an damals hat sie keine, und auch die hunderten Briefe, die Ruth ihr schrieb, kamen nie an. Die kleine Schwester weiß nichts von ihrer großen, und letztere möchte dies nun ändern.

Dabei hilft ihr ein sanftmütiger Anwalt (Vincent D'Onofrio), der nun in Ruths ehemaligem Haus lebt und Kontakt zu Katies neuen Eltern (Richard Thomas und Linda Emond) herstellen soll. Nicht minder schwierig gestaltet es sich für Ruth jedoch, sich wieder in dieser Welt zurechtzufinden, einen Job zu bekommen und ein soziales Umfeld aufzubauen. Denn überall bestätigt sich Vincents Omen: Sobald ihre Vergangenheit bekannt wird, wird Ruth mit Ablehnung oder Aggression begegnet.

Bereits mit ihrem zweiten Spielfilm hat es Regisseurin Nora Fingscheidt nun also in die USA verschlagen. Das Drehbuch jedoch stammt diesmal nicht von ihr selbst, sondern von Peter Craig (The Town), Hillary Seitz (Insomnia – Schlaflos) und Courtenay Miles (Mindhunter), deren Arbeit auf der britischen Miniserie Unforgiven von 2009 basiert. Eigentlich zu viele AutorInnen für die vergleichsweise kompakte Geschichte, die The Unforgivable erzählt, was sich in einer gewissen Unfokussiertheit niederschlägt. Anstatt sich nämlich ganz auf Ruth und Katie zu konzentrieren, wird letztere vom Skript zur Statistin, beinahe zum bloßen Plot-Device degradiert und noch ein dritter Handlungsstrang rund um die beiden Söhne (Tom Guiry und Will Pullen) des getöteten Sheriffs gesponnen, die Ruth psychisch terrorisieren und Rache an ihr nehmen wollen.

Was anfangs noch in die Auseinandersetzung mit den vordergründigen Themen des Films – Gerechtigkeit, Buße und Vergebung, sowohl individueller als auch systemischer Art – hineinspielt, beugt sich im finalen Akt dann den Konventionen des US-amerikanischen Thrillers und zieht eine strikte Gut-Böse-Grenze durch das bis dato vorherrschende moralische Grau. Alle Bemühungen bis zu diesem Punkt, sich als Zuschauer*in immer wieder neu zur Protagonistin zu positionieren und nicht den gleichen Ressentiments wie Ruths Umfeld anheimzufallen, sind dann für die Katz, wo doch die Fronten auf einmal so klar sind. Was Systemsprenger von Anfang bis Ende von seinem Publikum einforderte, zieht The Unforgivable nur zu zwei Dritteln und bis dahin auch nur mit angezogener Handbremse durch – und lässt schlussendlich auch noch einen vielversprechenden Handlungsstrang, ein potenzielle Romanze zwischen Ruth und Blake (Jon Berenthal), die sich bei ihrer Arbeit in einer Fischfabrik kennenlernen, sang- und klanglos fallen.

Inszenatorisch kommt der Film derweil gänzlich Highlight-arm daher. Die Kameraarbeit von Guillermo Navarro (Pans Labyrinth, Die fantastische Reise des Dr. Dolittle) pendelt zwischen Distanz und Nähe – optisch wie emotional – und kann sich damit bestenfalls das Prädikat „Solide“ verdienen. Hans Zimmers Soundtrack dudelt belanglos vor sich hin. Und wo Sandra Bullock anfangs noch die mentale Belastung in dieser für sie so neuen Umgebung und die daraus resultierende latente Aggression zu vermitteln vermag, wirkt ihr Schauspiel in den emotionalen Kernmomenten – allem voran einem klischeehaften „Ich habe einen Wutausbruch und demoliere die komplette Einrichtung“-Moment – arg bemüht. So bleibt am Ende ein mittelmäßiger Thriller, der seine potenziell spannende Ausgangslage in einem platten Finale versenkt.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/the-unforgivable-2021