Hyperland (2021)

Der Wert des Menschen

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Wie würde man einem vollkommen Außenstehenden das Internet erklären? Wie könnte man einem vollkommen Außenstehenden das Hyperland erklären? Die richtige Antwort lautet: Gar nicht. Sondern zeigen. Mario Sixtus tut genau dies: Er wirft den Zuschauer rein in seinen Film, in das Geschehen und in diese fremde Welt, die sich aus dem Heute entwickelt hat. Hier lebt Cee, Künstleragentin, glücklich inmitten der vollkommenen Virtualität, bis sie nach einer versuchten Vergewaltigung in der öffentlichen Wahrnehmung nicht als Opfer, sondern als Aggro-Psychopathin dargestellt wird…

CarmaCount: Das ist die Währung, auf der Hyperland basiert. Sie öffnet Türen, wortwörtlich: Wer zuwenig Karmapunkte hat, bleibt draußen. Vergeben werden die Punkte vom Schwarm der Community, in das jeder angeschlossen ist, per Gehirn: Leuchtdioden in den Schläfen zeigen den Finder an, der einen mit allen connected. Durch diese Welt bewegt sich Cee wie ein Fisch im Wasser; bis sie sich im Netz verfängt.

Hyperland ist durch und durch futuristisch designt: Sixtus drehte an den (realen) Orten der Moderne in den Städten Nordrhein-Westfalens, wo klare Linien von Beton, Glas, Stahl vorherrschen. Die urbane Architektur – Kamera: Hajo Schomerus – ist eingefangen als die ultimative Chiffre für Zukunft: Die Fassaden sind mit virtuellen Ornamenten bespielt und mit Projektionen der Hyperland-Community, mit denen kommuniziert wird, diskutiert und bewertet – Plus- und Minuspunkte ändern das Karma-Konto.

Cee hat sich bei einer Party mit Marvin eingelassen, der sie in einer Kammer zusammenschlägt, den Finder blockiert, sich über sie hermacht – doch sie kann ihn überwältigen. Denn sie ist besonders, sie wird nicht ohnmächtig bei Trennung vom Hypernetz. Und sie beschuldigt ihn; das bedeutet Krieg. Denn Marvin ist mächtig, ein Elitejüngling, der meint, sich alles herausnehmen zu können. Der die Medien und die Experten einspannt und die Hyperbots, die sich über Cee hermachen und die sie fertigmachen. Ihr CarmaCount schwindet, sie wird genullt. Und findet sich bei den Zeros wieder, die Unsichtbaren, die im Hyperland nicht existieren.

Abgesehen von der grandiosen Coolness des Weltenentwurfs von Mario Sixtus ist Hyperland auch sehr hip fotografiert, die Figuren bewegen sich wie in einer Science-Fiction-Choreographie, und der Zuschauer findet sich immer weiter ein in diese Hyperwelt mit ihren Extrapolationen des heutigen Web 2.0 oder 3.0 oder was immer. 

Letztlich krankt der Film leider an einer zu sprunghaften Dramaturgie. Das hat nichts damit zu tun, dass der Zuschauer gezwungen wird, sich auf eine fremde (und doch irgendwie bekannte) Hyperwelt einzulassen, sondern mit dem Springen zwischen Zeitebenen, die den Zuschauer immer wieder mit Fragen zurücklassen, die erst einmal nicht beantwortet werden. Was hat es auf sich mit den Zeros im Orbiter? Was war los in Cees Kindheit? Wie schnell wird sie denn jetzt wirklich genullt? Was ist mit ihrem Vater, wie ist das mit ihrer Fähigkeit, den Finder zu blockieren?

Im Ganzen aber ist dies ein beachtlicher filmischer Entwurf. Der im Grunde auf der Leinwand gesehen werden müsste: Großer Kinoernst, nicht kleines Fernsehspiel.

Hyperland ist zur Zeit kostenlos in der ZDF-Mediathek zu sehen

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/hyperland-2021