Ein großes Versprechen (2021)

Bekannte Authentizität

Eine Filmkritik von Kai Remen

Mehr als 30 Jahre sind Juditha (Dagmar Manzel) und Erik (Rolf Lassgård) verheiratet. Als Erik endlich in den Ruhestand geht, will er das Leben genießen, hatte er doch bisher seinen Beruf als Wissenschaftler oft vor alles andere gestellt. Doch Juditha leidet unter Multipler Sklerose. Die Krankheit schien jahrelang beherrschbar, jetzt schreitet sie aber voran und stellt das Paar vor immer größere Herausforderungen. Juditha will ihre Selbstständigkeit nicht aufgeben und Erik fühlt sich überfordert und eingeengt. In dem Lebensabschnitt, in dem ihre Zweisamkeit im Mittelpunkt stehen sollte, steht das Paar vor dem schwersten Kampf seiner Ehe.

Das Spielfilmdebüt von Regisseurin Wendla Nölla ist ein klassisches Drama. Die gebürtige Hamburgerin hatte zuvor Dokumentarfilme und Werbespots gedreht und bringt mit ihrem ersten Spielfilm eine Geschichte auf die Leinwand, die stark von ihrem eigenen Leben inspiriert ist. Ein älteres Ehepaar erleidet einen Schicksalsschlag und hat mit dem partnerschaftlichen Zusammenhalt und dem Gegensatz zu den eigenen Wünschen zu kämpfen. Das ist keineswegs neu, diese Dramen gibt es im Kino und (vor allem) TV zuhauf.

Aber ein Film muss nicht zwangsweise eine innovative Geschichte und unbeleuchtete Themen erzählen. Im Gegenteil. Ein großes Versprechen trumpft mit einer Stärke auf, die vielleicht nur ein solches Drama innehat: Authentizität und Empathie.

Eine Krankheit reißt eine glückliche Familie aus ihrem strukturierten Alltag. Das kann jede Zuschauerin und jeder Zuschauer nachvollziehen. Dabei ist es egal, um welches Leiden es sich handelt. So könnte neben der Multiplen Sklerose auch jede andere physische Krankheit Anlass und Vehikel sein, um die Geschichte von Juditha und Erik zu erzählen. Die Themen der altersbedingten Abhängigkeit und der Selbstverwirklichung, das Zeigen von Verletzlichkeit und vor allem das
Annehmen oder eben Nicht-Annehmen-Können von Hilfe stehen im Zentrum von Ein großes Versprechen.

Wer selbst Eltern, Großeltern, Freunde oder Partner hat, die auf Pflege und externe Hilfe angewiesen sind, wird auch hier immer wieder die typischen zwischenmenschlichen Schwierigkeiten und Emotionen erkennen. Das ist nicht schwarz und weiß und der Film erlaubt sich auch kein Urteil darüber, ob Erik moralisch handelt oder eben nicht. Ähnlich wie in einem Dokumentarfilm werden die Figuren bei ihren Problemen begleitet. Das trifft, macht betroffen und ist bedrückend.

Für diese Authentizität und die Empathie gegenüber den Figuren sind vor allem die Hauptdarstellerin und der Hauptdarsteller verantwortlich. Die beiden haben vor der Kamera eine bestechende Chemie und Dagmar Manzel spielt in einigen Szenen wirklich atemberaubend. Wendla Nölla inszeniert das Drehbuch von Greta Lorez in weiten Teilen als Kammerspiel. Nur selten sind neben Erik und Juditha weitere Menschen im Bild. Die Tochter der beiden und ihre Verwunderung darüber, warum die Mutter plötzlich im Rollstuhl sitzt, braucht es da kaum. Solche Nebenaspekte mögen Gründe sein, warum der 88-minütige Film sich im letzten Drittel sogar etwas zieht.

Hinzu kommt, dass die Regisseurin, deren selbsterklärtes Ziel die Authentizität war, keine Besonderheit findet, die Geschichte auch auf visueller Ebene zu erzählen. Die von Kameramann Nikolai von Graevenitz eingefangenen Bilder sind schlicht, drängen sich dadurch zwar nicht vor die Figuren, aber erinnern eher an einen Fernsehfilm am Sonntagabend und nicht an einen Kinofilm.

Ein großes Versprechen ist dadurch am Ende eines der Dramen, die man eigentlich schon kennt, die einen aber trotzdem treffen können. Schwere Themen, der Verzicht auf die moralische Deutungshoheit und die schauspielerischen Leistungen erzählen authentisch eine Geschichte, für die es aber nicht unbedingt eine Leinwand braucht.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/ein-grosses-versprechen-2021