Everything Will Change (2021)

Das verlorene Paradies

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Kann man, wenn man in einer Welt der Bilderflut lebt, den Bildern überhaupt noch trauen? Was ist wahr und was ist falsch, was ein Deep Fake und was die vermeintliche oder tatsächliche Realität? Und was passiert, wenn einem Bilder abhanden kommen - ganz einfach deswegen, weil das Gezeigte einfach nicht mehr existiert, die Bilder und damit auch die Erinnerungen daran einfach aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht wurden? In der dystopischen Welt des Jahre 2054 in Marten Persiels Film "Everything Will Change" ist es das Bild einer Giraffe, das den Ausschlag gibt für eine Reise in die Vergangenheit des Planeten Erde, in die Zeit, bevor das große Artensterben einsetzte - mit anderen Worten: in unsere Gegenwart, die Welt zu Beginn der 2020er-Jahre.

Dort sind es drei junge Leute (Noah Saavedra, Jessamine-Bliss Bell und Paul G Raymond), die sich auf Spurensuche nach einer Vergangenheit begeben, in der die Welt wie ein Paradies erschien und die dabei entdecken, was die Menschheit in den letzten 30 Jahren an Biodiversität und Artenvielfalt verloren hat. Geleitet von einer Erzählerin und einem Buch bewegen sie sich durch die Zeiten und die Wunder der Welt und schaffen es schließlich sogar, ihre Botschaft aus der Zukunft in ihrer Vergangenheit, die gleichzeitig unsere Gegenwart ist, zu platzieren.

Schon in seinem Erstlingsfilm This Ain’t California (2012) erwies sich Marten Persiel - zur Freude des Publikums und zum Missfallen mancher Kritiker - als Grenzgänger zwischen Dokumentarischem und Inszeniertem. Auch in Everything Will Change vermischen sich Fiktion und Wahrheit zu einem neuen, ganz eigentümlich anmutenden Gebilde, dessen Faszination mit einiger Distanz betrachtet von allem darin besteht, dass Persiel unsere Gegenwart nicht - wie derzeit häufig zu beobachten - als schrecklichen Ort und schreckliche Zeit begreift, sondern als Paradies im Vergleich zu dem, was uns in der zugegebenermaßen fiktionalen und daher spekulativen Zukunft droht.

Es ist womöglich ein vor allem pädagogischer Kniff, die von einer Pandemie und den düsteren Vorzeichen einer sich abzeichnenden Klimakatastrophe derart zu einer Zeit des Reichtums und der Gestaltungsmöglichkeiten umzudeuten, wie der Film dies tut, doch genau dies verfehlt seine Wirkung nicht, sondern schafft es überaus wirkungsvoll, den Blick des Publikums auf eine Katastrophe zu lenken, von der wir zwar oft hören und lesen, die aber immer noch nicht zu Genüge in unserem Bewusstsein angekommen ist - es geht um das Massensterben der Arten, das unwiderrufliche Verschwinden vieler Spezies und damit das Kippen des Gleichgewichts auf diesem Planeten, dessen Bedrohlichkeit immer noch nicht genügend wahr- und ernstgenommen wird.

So begrenzt die finanziellen Mittel auch für die Ausstattung der Spielfilmszenen gewesen sein mögen - produktionsseitig hat man sich hier alle Mühe gegeben, einen futuristischen Blick in die Zukunft zu werfen. Und das ist auch durchaus beeindruckend geglückt. Mittels neuer, gerade erst in der Erprobung befindlicher Filter gelang es beispielsweise, das Grün der Vegetation so aufzunehmen, dass es rot erschien, statt aufwendig nachbearbeitet zu werden. Bereits dieser einfache Effekt verändert tatsächlich die ganze Landschaftswahrnehmung und macht die Abwesenheit des Lebens und die Aufheizung der Erde deutlich sichtbar - vom Verfremdungseffekt einmal ganz zu schweigen.

So dankbar man am Ende auch für den Hoffnungsschimmer ist, den Persiel in seinem Film mittels einer Montage positiver Nachrichten aus unserer unmittelbaren Zukunft gibt, bleibt man allerdings angesichts der Dummheit der Menschen - gerade zu besichtigen im kollektiven Verhalten gegenüber den Herausforderungen durch die Covid-19-Pandemie - gegenüber so viel Optimismus skeptisch.

Dennoch oder gerade deswegen ist Everything Will Change bei aller Düsternis auch ein hoffnungsvoller Film, der uns das Gefühl gibt, noch etwas tun zu können, die Dinge noch selbst in der Hand zu haben und den Veränderungen der nahen Zukunft nicht schutzlos ausgeliefert zu sein. Im Gespräch zu seinem Film äußerte Persiel die Hoffnung, dass der Film nicht allein im Kino, in dieser herkömmlichen Situation dieses sozialen Raumes wirken möge, sondern auch in anderen, aktivistischen Kontexten wie etwa bei Veranstaltungen der „Fridays for Future“ Bewegung. Und genau hierin liegt die Chance dieses außergewöhnlichen Filmes - sowohl was seinen Zuschauererfolg wie auch die Nachhaltigkeit und Wirkmächtigkeit seines Anliegens angeht -, dass dieser Film über den Raum des Kinos hinaus Folgen hat und Wellen schlägt.

Möglicherweise - und vielleicht liegt hierin ja viel mehr seine eigentliche Innovation begründet als in den angewandten technischen Verfahren - verweist Everything Will Change ja auch auf eine mögliche Entwicklungslinie des Kinos, die in einer Zunahme des Aktivistischen, den Zuschauer zum Handeln auffordernden Komponente liegt. Dies wäre jedenfalls eine Strategie gegen den drohenden Bedeutungsverlust des Kinos in der Flut der Bilder, die der Film am Anfang als Schreckensvision skizziert.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/everything-will-change-2021