Ein Festtag (2021)

Fragmente eines Lebens

Eine Filmkritik von Sebastian Seidler

Mr. Niven (Colin Firth), der Herr des Hauses, sitzt mit seiner Frau (Olivia Colman) am Frühstückstisch. Es ist Muttertag. Die Sonne scheint. Dennoch ist der Raum von einer verschwiegenen Schwere erfüllt. Mr. Niven betont immer wieder, was dies doch für ein schöner, wahrlich wundervoller Tag sei. Firth spielt seine Figur mit größter Fragilität, wie als würde er jeden Moment in sich zusammenbrechen und einfach von der Leinwand verschwinden. Der Krieg hat in allen Familien für große Opfer gesorgt. Viele junge Männer sind nicht zurückgekehrt. Da sitzt ein gebrochener Mann, der durch die ständige Wiederholung seiner Aussagen einen Halt sucht, dem Tag einen Sinn einschreiben möchte.  

Damit ist das große, strukturierende Thema von Eva Hussons Ein Festtag gesetzt: Immer wieder werden sich Bilder und Aussagen wiederholen und in ihrem Sinn verschoben. Das Leben, es besteht aus Kreisbewegungen durch Erinnerungen, die bis in die Zukunft reichen. Diese Atmosphäre wird durch elliptische Zeitsprünge poetisch verdichtet. Oftmals ist man gezwungen, sich wie in einem Labyrinth aus Zeit und Raum zu orientieren. Dabei erzählt der Film eigentlich nur vom Leben seiner Hauptfigur, der Schriftstellerin Jane Fairchild; dieses Leben aber weist weit über sich hinaus.   

England 1924. Jane arbeitet als Dienstmädchen bei den Nivens, einer Familie aus der besseren Gesellschaft. Mit Paul (Josh O’Connor) beginnt sie eine leidenschaftliche Affäre über die Standesgrenzen hinweg. Der Geliebte wird den Gepflogenheiten seiner Schicht gemäß Emma (Emma D’Arcy) heiraten. Am Muttertag kommt es schließlich zu einer tödlichen Tragödie, die Jane für ihr Leben prägen wird. 9 Lebensjahrzehnte durchwandert der Film, immer aus der Sicht von Jane, nah an ihrem Erleben und ihren Emotionen, die sich auch auf die schwebend-entrückte Bildgestaltung übertragen. Dabei rutschen die Bilder an der einen oder anderen Stelle zwar ins Kitschige ab, was aber angesichts der sonst gelungenen Form nicht weiter ins Gewicht fällt.

Wie schon der Roman von Graham Swift erfindet die französische Filmemacherin Eva Husson eine Sprache innerhalb der Sprache. Im Grunde passiert wenig und doch passiert alles im Dazwischen und in den Bildern, die in einer empathischen Ruhe die Stimmungen von Momenten stehen lassen, diese abrupt verlassen, nur um mit großer Sanftheit zu ihnen zurückzukehren. 

Beeindruckend ist, dass es Ein Festtag vermag einer für das britische Kino so klassischen Geschichte eine weibliche Sinnlichkeit abzutrotzen. Darin ähnelt der Film Céline Sciammas Porträt einer jungen Frau in Flammen. Die Blicke des Begehrens sind weiblich. Der männliche Körper wird mit den Augen abgetastet; eine Lust des Sehens, die allzu häufig eher den Männern in Filmen vorbehalten ist. Dabei gibt es eine Szene, in der Jane gedankenverloren und nackt durch das Anwesen von Pauls Familie wandelt. Nichts ist daran aufreizend. Die Körperlichkeit der jungen Frau genügt sich selbst, wird Ausdruck einer Freiheit: Während die bessere Gesellschaft in ihrem feinen Zwirn gefangen ist, der einer Uniform gleich selbst die Trauer äußerlich werden lässt, kommt Jane hier völlig zu sich. 

Eigensinnig, poetisch und von melancholischem Kämpfergeist ist diese Jane, die vom Dienstmädchen zur gefeierten Schriftstellerin wird. Ein Festtag ist damit auch ein Film über das Schreiben, eine Tätigkeit, die sich dem Visuellen des Kinos tendenziell entzieht. Eva Husson lässt ihre Hauptfigur immer wieder einzelne Formulierungen und Begriff notieren, die sie buchstäblich auf die Leinwand schreibt; Knotenpunkte eines Innehaltens, einer einfühlsamen Bewahrung von scheinbar nebensächlichen Kleinigkeiten. Genau diese schöpferische Kraft der Literatur weiß der Film für sich zu nutzen, was dazu führt, dass diese Welt der Jane Fairchild einen lange nach Verlassen des Kinos begleitet.     

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/ein-festtag-2021