What Happened to the Wolf? (2021)

Entgegen gehen

Eine Filmkritik von Bianka-Isabell Scharmann

Die Körper der zwei Frauen komplettieren die Symmetrie der Großaufnahme eines abgeernteten Feldes, irgendwo in Myanmar: Nachdem die eine der anderen ein Foto gezeigt hat, bewegen sie sich weg von den Zuschauer*innen, dem Horizont entgegen. Aus Begegnung und Stasis geht eine gemeinsame Bewegung hervor, mit Ziel. In dieser ersten Szene steckt die gesamte Dynamik des Films, die im Folgenden entfaltet werden wird: „What Happened to the Wolf?" verwandelt das Warten auf den Tod in ein selbstbestimmtes Entgegengehen. Auf dem Weg dorthin begegnen sie dem Leben.

Für die meisten Patient*innen sind Krankenhäuser Durchgangsstationen, für andere Orte der Rückkehr und für wieder andere die letzte Station im Leben: Way (Paing Phyo Thu) und Myint Myat (Eiandra Kyaw Zin) sind beide todkrank. Erstere mit einem tödlichen Herzfehler seit der Geburt lebend, Letztere vor nicht allzu langer Zeit mit Krebs im Endstadium diagnostiziert, treffen sie sich über eine geteilte Zigarette – und vergleichen Selbstmordversuchsnarben. Myint Myat hat das Warten auf den Tod satt. Way gibt vor, keine Angst vorm Sterben zu haben, doch scheut jeglichen Kontakt zu Menschen. Es scheint eine schicksalhafte Begegnung zu sein. Gemeinsam beginnen sie mit Musik im Ohr, die auch als Soundtrack fungiert, das Gebäude zu erkunden. Dabei knüpfen sie ein erst loses dann enger werdendes Band der Freundschaft, das auch nach beider Entlassung hält. Way öffnet der traditionell erzogenen, eine eigene Firma führenden und verheirateten Myint Myat einen Weg, mit ihrem herannahenden Tod umzugehen und umgekehrt schafft es Myint Myat, Way aus ihrer Abkapselung herauszuschälen.

Eingefangen werden die emotionalen Kämpfe, die Entscheidungen und die sich entwickelnde Freundschaft in von Beginn an mit bewusst gewählten Winkeln, mobilen, teils verspielten und doch akkuraten Bildern. Außerdem spielt der Film sehr bewusst mit Zitaten – Literatur, Musik, Philosophie – und benutzt die Figur des bewegten Stillstands durch ein Schattenspiel und Fotografie im Film, um sowohl künstlerische Akzente zu setzen als auch die Erinnerungsarbeit einer der Protagonistinnen zu veranschaulichen. Einzig auf manches Zitat aus dem Filmkanon, das Kostüm von Léon - Der Profi oder der Tanz aus Pulp Fiction, hätte man verzichten können, denn das hat Regisseur und Drehbuchautor Na Gyis zweiter Spielfilm gar nicht nötig.

Im Verlauf des Films lösen sich die Frauen aus ihrer jeweiligen Stasis heraus, sie wagen etwas und dann noch mehr: Sie erkunden nicht nur gemeinsam das Krankenhaus, sondern später auch die Stadt, um schließlich einer mythischen Landschaft entgegen zu fahren. Musikalisch untermalte Montagen der Entdeckung, des gemeinsamen Tanzens, Lesens und Durchstreifens der Landschaft erzählen von Lebensfreude – die Schwere des Themas, wie mit dem herannahenden Tod umgehen, wird ein ums andere Mal mit einer Bejahung des Lebens und des Auskostens desselben beantwortet. Auch die gewählten Farbschemata spiegeln die Progression wider: Während die Innenräume des Krankenhauses und auch Myint Myats Haus dunkel und fast schon leblos wirken, werden diese bald von der Lebendigkeit der Natur in hellen Farben abgelöst. Um schließlich im wärmsten Orangerot zu verglühen. Ganz oben angekommen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/what-happened-to-the-wolf-2021