Leberhaken (2021)

Boxen ums Leben

Eine Filmkritik von Bianka-Isabell Scharmann

Steph (Luise Großmann) hat ein Problem mit Grenzen und, wie sich im Verlauf des Films herausstellen wird, vor allem mit sich selbst: Nachdem niemand auf ihr Klopfen hin die Tür zu Ricks (Hardy Krüger) Boxstudio in Berlin öffnet, tritt sie einfach ein. Ein paar Stufen nach unten führen sie über die Schwelle in das unverputzte, verwinkelte Reich des Ex-Boxers. Backstein, Chrom, Boxsäcke und Sportgeräte dominieren, der Schlafraum ist ein Hinterzimmer, die Küche gehört zum Umkleideraum. Hier ist alles eins, Arbeit ist Leben. Indirekte und Streiflichter inszenieren Oberflächen, verstecken oder modellieren die Figuren, vor allem deren Gesichter. Musikalisch perfekt getimt, teilweise mit Songs der The Chicks hat die Crew um Torsten Ruether (Produzent, Drehbuchautor und Regisseur) hier einen Boxtanz inszeniert, dessen Dynamik mit dem Verlauf des Films beschleunigt – und dessen Ausgang offenbleibt.

Leberhaken ist ein sehr physischer Film, der die ungeschliffen wirkende Körperlichkeit Stephs gegen die ruhige, versehrte Präsenz Ricks prallen lässt – er hinkend, sie in ruhigen Momenten tanzend zwischen und mit Boxsäcken zu sich findend. Wenn Dynamik der Bilder und der Körper zusammenkommen, dann geht das sehr nah. Zu dem Eindruck der Physis dürfte nicht zuletzt der Fakt beigetragen haben, dass der Film binnen drei Tagen im heißen Sommer 2020 gedreht wurde. Die Strapazen haben sich nicht nur in die Performanz vor, sondern auch hinter der Kamera eingeschrieben. Und trugen so zu der dichten Atmosphäre bei, die im Film mal weniger mal mehr greifbar ist.

Im Film wird über das Boxen kommuniziert. Viel wichtiger ist jedoch, was mit dem Sprechen über den Sport und im dazwischen gesagt, ja philosophiert wird. Die beiden Protagonist*innen steigen, bevor sie auch nur einen Schritt in einen physischen Ring setzen, miteinander figurativ ins Viereck, um sich zu belauern, zu mauern, anzugreifen, um zu tänzeln, zu straucheln, wieder aufzustehen. Doch anders als im Boxring wird nicht nur über Körpersprache kommuniziert, sondern viel verbalisiert. Dabei prallt Stephs ungestüme, ungeschliffene Art immer wieder gegen Ricks ruhige Präsenz, dessen Körperhaltung zwar Bände seiner Sportlerkarriere erzählt, über den man jedoch erst wenig Persönliches erfährt. Er spricht gerne in Weisheiten, wie etwa: „Meistens hängt der Dreck dort, wo man ihn nicht sieht.“ Die einzigen Schwächen hat der Film dann auch da, wo er zu phrasenhaft wird, Jugendsprache in den Mund gelegt scheint, sich ‚fake‘ anfühlt und kaltes Wasser für schräge, ungewollte verbale Komik sorgt. Oder wenn zu abgegriffene Bilder wie ‚goldener Käfig‘ bemüht werden.

Gesprochen wird auch über Boxfilme: Million Dollar Baby, die Rocky-Filme. Mit dieser Geste reiht sich der Film ein, macht jedoch nicht den Fehler, diese Vergleiche zu stark zu bemühen. Der Sport beziehungsweise die Sportlerin wird nicht idealisiert, es geht darum, etwas fürs Leben zu lernen. So wird aus dem Vor und Zurück zwischen den beiden, dem Tanz um Verständnis, Annahme und Zurückweisung eine Bewegung hin zueinander. Bis zuletzt bleibt jedoch offen, wie das Umtänzeln der beiden enden wird: Dramaturgisch müssen sie miteinander in den Ring steigen. Doch was dann passiert, ist schockierend. Die Frage bleibt: Was hat Steph fürs Leben von Rick in der kurzen Zeit gelernt? Nimmt sie die Lektionen mit oder bleibt sie auf der Matte?

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/leberhaken-2021