Coppelia (2021)

Hybrid ohne Zauber

Eine Filmkritik von Falk Straub

Vor 152 Jahren wurde das Ballett Coppelia oder Das Mädchen mit den Glasaugen, dessen Handlung auf E. T. A. Hoffmanns Kunstmärchen Der Sandmann (1816) basiert, uraufgeführt. Bis heute erfreut es sich großer Beliebtheit. Jetzt kommt eine Verfilmung ins Kino, die Tanz und Animation miteinander verbindet und damit den Zauber alter Disney-Filme einzufangen sucht. Doch der Zauber währt nicht lange.

Der erste Eindruck beeindruckt. Wenn die junge Swan (Michaela DePrince) sich wie jeden Morgen von ihrer Mutter (Glynis Terborg ) verabschiedet, mit dem Rad ins Zentrum ihres malerischen Heimatstädtchens fährt und ihren schnuckeligen Saftladen aufschließt, dann bewegt sich das Publikum mit ihr durch eine wunderliche Welt. Die Sets sind ein kunterbunter Mix aus gebauten und aufgemalten Kulissen. Die zweite und die dritte Dimension gehen Hand in Hand, wie dieser Film überhaupt zwischen verschiedenen Medien wandelt. In ihrer ambitionierten Adaption kreuzen die Regisseure Steven de Beul, Ben Tesseur und Jeff Tudor klassisches Ballett, elektronische Musik und Bilder aus dem Computer. Ein gewagtes Unterfangen.

Den alles entscheidenden Schritt in Richtung Liebesglück wagt Swan erst spät. In ihrem kleinen Geschäft hat sie nur Augen für den etwa gleichaltrigen Franz (Daniel Camargo), der den Fahrradladen gegenüber betreibt. Doch bald schon hat Franz nur noch Augen für Coppelia, das künstliche Wesen des Doktors Coppelius (Vito Mazzeo), der neu in der Stadt ist. Dass Coppelius nichts Gutes im Schilde führt, deutet nicht nur sein sinistrer Spitzbart an, sondern auch die rabenschwarze, klobig monströse Karosse, mit der er sich durch die Straßen kutschieren lässt und die ein wenig wie das Batmobil des wohl düstersten aller Superhelden aussieht.

Bis hierhin funktioniert dieser Film, der völlig ohne Dialoge auskommt, ausgezeichnet. An die Magie alter Disney-Klassiker wie Mary Poppins (1964) und Die tollkühne Hexe in ihrem fliegenden Bett (1971) oder der Gene-Kelly-Musicals Urlaub in Hollywood (1945) und Einladung zum Tanz (1956), die allesamt Real- und Animationsfilm vermischten, und von denen der Regisseur Jeff Tudor in einem Interview schwärmte, reicht Coppelia zwar nicht heran. In den ersten Minuten geht aber durchaus etwas Magisches von ihm aus – und sei es auch nur deshalb, weil das Publikum diese Mischung im Kino heutzutage kaum noch zu Gesicht bekommt.

Mit der Einführug in Coppelius' Welt erfolgt jedoch ein Bruch. Der Doktor, der in Hoffmanns literarischer Vorlage und im ursprünglichen Ballett noch einen Automaten in Form einer lebensechten Puppe erschuf, betreibt im Film nun eine Art Schönheitsfabrik. Zurückzuführen ist das auf eine Inszenierung am Niederländischen Nationalballett aus dem Jahr 2008, in der der Bösewicht bereits vom Spielzeugmacher zum Schönheitschirurgen umgeschrieben wurde. Das Problem ist aber nicht dessen neue Profession – die ist sogar ein Zugewinn in einer Welt, die immer stärker auf Oberflächenreize und unerreichbare Schönheitsideale setzt –, sondern deren visuelle Umsetzung.

Während Swans Welt das Publikum zum Träumen bringt, schreckt Coppelius' Welt ab – allerdings aus ganz anderen Gründen, als sich das Regietrio das gedacht hat. Die kalte und mechanische Schönheitsfabrik des Doktors, sein Automat Coppelia, der in dieser Versio eher eine Art Avatar ist, und deren Helferinnen sind schlicht so schlecht animiert, dass man sich verwundert die Augen reibt und das Lachen verkneifen muss. Im Handumdrehen ist der Zauber verflogen.

Coppelia hat aber noch ein anderes Problem. Prominent besetzt und hervorragend getanzt, mangelt es dem Ensemble an schauspielerischer Überzeugungskraft. Gepaart mit einer formelhaften Dramaturgie und einem Inszenierungsstil, der zu sehr auf theatrale und zu wenig auf filmische Mittel setzt, reißt einen die Geschichte nie richtig mit. Was auf der Bühne allein schon wegen des Live-Erlebnisses funktionieren mag, wirkt im Kinosaal immer ein wenig zu sehr wie abgefilmtes Theater respektive Ballett. Dadurch überträgt sich die Energie nicht aufs Publikum. So sehr das Ensemble auch dagegen antanzt, zum Ende hin ist diese Version des Sandmanns geradezu einschläfernd.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/coppelia-2021