Schwarze Insel (2021)

Jonas’ Küste

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre erlebte das Subgenre des Teenie-Horrors eine Renaissance. Verantwortlich dafür war insbesondere der Drehbuchautor Kevin Williamson, der etwa die Skripts zu „Scream“ (1996) und „Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast“ (1997) verfasste. Überdies schuf er die Jugendserie „Dawson’s Creek“ (1998-2003) über eine befreundete Clique in einer kleinen Küstenstadt. Der Erfolg dieser US-Stoffe hinterließ schon damals diverse Spuren im deutschen TV und Kino, beispielsweise durch die überdeutlich an „Dawson’s Creek“ angelehnte ARD-Vorabendserie „Sternenfänger“ (2002) oder Filme wie „Schrei – denn ich werde dich töten!“ (1999) und „Flashback – Mörderische Ferien“ (2000).

An diese Ära und diese Art des Erzählens lässt Miguel Alexandres Schwarze Insel in vielen Momenten denken. Das Drehbuch, das der Regisseur gemeinsam mit Lisa Carline Hofer geschrieben hat, entwirft Figuren, die sehr an Dawson Leery und Joey Potter, das zentrale Duo aus Dawson’s Creek, erinnern. Hier heißen sie Jonas (Philip Froissant) und Nina (Mercedes Müller), leben auf einer nordfriesischen Insel und stehen kurz vor dem Abitur. Und ähnlich wie die Teens aus den genannten Nineties-Slashern werden sie mit einer tödlichen Gefahr konfrontiert.

Um diese Bedrohung einzuführen, geht der Film in seiner Dramaturgie ziemlich holprig vor. Zunächst sehen wir, wie eine ältere Frau am Strand von einem Hund attackiert wird und stirbt. Beobachtet wird sie dabei von einer anderen Frau, bei der es sich, wie wir bald erfahren sollen, um die junge Berliner Lehrerin Helena (Alice Dwyer) handelt. In der nächsten Szene, die die Beerdigung einfängt, erhalten wir die Information, dass die Verstorbene die Gattin von Friedrich Hansen (Hanns Zischler) war, der seinem Sohn, seiner Schwiegertochter und seinem Enkel – dem Protagonisten Jonas – völlig entfremdet ist. Nach einem Zeitsprung von vier Monaten sehen wir Jonas’ Eltern im Auto, die in einem Zehn-Sekunden-Dialog die Tatsache diskutieren, dass das Verhältnis zum verwitweten Friedrich immer noch schlecht ist – ehe Helena ihnen in ihrem Wagen entgegenrast und einen Crash verursacht, bei dem Jonas’ Eltern ums Leben kommen. Kurz darauf, nachdem der zum Waise gewordene Jonas zu seinem Großvater gezogen ist, taucht Helena überraschend als neue Aushilfslehrerin auf, da Jonas’ Deutschlehrer einen „Unfall“ auf Mallorca hatte. Müssen wir an dieser Stelle noch einwerfen, dass in Helenas Abstellkammer ein Koffer steht, dessen Etikett erkennen lässt, dass sie kürzlich auf Mallorca weilte?

Diese Exposition, um zum eigentlichen Plot zu kommen, ist erzählerisch leider genauso unelegant umgesetzt, wie es hier klingt. Helenas Motiv dürfte wiederum all jene erstaunen, die noch nie einen Thriller geguckt oder einen Kriminalroman gelesen haben. Aber das soll nicht heißen, dass Schwarze Insel ein schlechter Film ist. Zum einen ist da die Dynamik zwischen Jonas und Nina. Er ist eine sensible Künstlerseele, sie ein Tomboy und total verliebt in Jonas. Erwähnten wir schon, dass das Ganze wirklich sehr an Dawson’s Creek erinnert? Ah, gut. Zum anderen ist der Handlungsort äußerst einnehmend. Die Insel wirkt mal idyllisch, mal überaus abgründig. Der zwischen Pop und Rock pendelnde Soundtrack macht die raue Küste zu einem exquisiten Coming-of-Age-Schauplatz. Ohne Zweifel hat Alexandre, der auch die Kamera führte, ein feines Gespür für stimmungsvolle Bilder.

Eine weitere Stärke des Werks ist Alice Dwyer. Rasch ist klar, dass Helena eine Psychopathin ist. Viel Platz für Zwischentöne gestehen das Skript und die Inszenierung ihr nicht zu. Doch Dwyer macht aus diesem Part fraglos das Beste. Eine Leichenentsorgung am helllichten Tag im Schulgebäude entwickelt dank ihres Spiels Spannung und lässt die zahlreichen Nonsens-Aspekte dieser Sequenz beinahe vergessen. Einen neuen Höhenflug des Teenie-Horrors wird Schwarze Insel vermutlich nicht auslösen. Doch der Film ist durchdrungen von einer Lust am Genre, die Spaß macht. Er bietet den pulpigen Psycho-Teacher-Gone-Crazy-Strang, den es in Dawson’s Creek nie gab. Unterhaltsam ist das allemal.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/schwarze-insel-2021