Blue Bayou (2021)

Ein trügerisches Gefühl von Heimat

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Gerade überwiegt das Glück. Antonio LeBlanc (Justin Chon) und seine Frau Kathy (Alicia Vikander) erwarten ihr erstes gemeinsames Kind und Kathys kleine Tochter Jessie (Sydney Kowalske) ist gewillt, Antonio als ihren Vater zu betrachten. Da wiegen die Probleme der Patchworkfamilie, die in New Orleans sonst auf sie warten, gar nicht so schwer. Antonio erhält aufgrund seiner Vorstrafe beim Vorstellungsgespräch für einen Zweitjob eine Absage, und Kathy muss Konflikte mit ihrem Ex-Partner Ace (Mark O'Brien) austragen, der vehement den Kontakt zu seiner Tochter einfordert. Aber dann, von einem Tag auf den anderen, bricht Unglück über die LeBlancs herein: Antonio, der als Kleinkind aus Korea in den Staaten adoptiert wurde, soll ausgewiesen werden, weil er die amerikanische Staatsbürgerschaft nicht besitzt.

Der kalifornische Regisseur und Drehbuchautor Justin Chon, der auch die Hauptrolle spielt, übt mit diesem Drama flammende Kritik an der amerikanischen Abschiebepolitik. Im Abspann sind Fotografien von einigen der vielen Menschen zu sehen, die als Kinder aus dem Ausland adoptiert und Jahrzehnte später ausgewiesen wurden. Zwar erklärte ein Gesetz von 2000 ausländische Adoptivkinder automatisch zu Staatsbürgern der USA, es gilt aber nicht für Personen, die Anfang 2001 schon volljährig waren. Antonio, der seit über 30 Jahren in den USA lebt, ahnte die ganzen Jahre nichts von seinem prekären Status und kümmerte sich folglich auch nicht um die notwendige Einbürgerung.

Ein Vorfall im Supermarkt, wo die LeBlancs auf den Polizisten Ace und seinen rassistischen Kollegen Denny (Emory Cohen) treffen, bringt Antonio in Polizeigewahrsam. Denny wollte Ace demonstrieren, wie sie mit einem wie Antonio umspringen können. So gerät der Mann plötzlich ins Visier der Einwanderungsbehörde. Um sich einen Anwalt leisten zu können, begeht der verzweifelte Antonio mit seinen früheren Kumpels wieder einen Motorradraub. Die Beziehung mit Kathy kriselt, weil er ihr nicht die Wahrheit sagt und sie auch nichts über seine Kindheit und Jugend wusste.

Antonio lernt die krebskranke Parker (Linh-Dan Pham) kennen, die als Bootsflüchtling aus Vietnam ins Land kam. Durch sie und den Zusammenhalt, auf den ihre Herkunftsfamilie in New Orleans Wert legt, fühlt sich Antonio ein wenig an seine eigenen asiatischen Wurzeln herangeführt. Die kurzen Erinnerungen oder Traumbilder, in denen ihm seine junge Mutter in einem Boot erscheint, als sie im Begriff steht, eine Verzweiflungstat zu begehen, werden intensiver.

Es sind also eine Menge Themen, die Chon in diesem Drama anschneidet. Dass der Inhalt dennoch nicht wie Malen nach Zahlen anmutet und auch die Neigung zur Sozialromantik die Spannung nicht erlahmen lässt, liegt zum einen an den stark gespielten und differenziert gezeichneten Charakteren. Justin Chon gibt eine glaubhafte Vorstellung als junger Familienvater, der sich bemüht, die Kontrolle über sein Leben wiederzuerlangen oder wenigstens die richtigen Entscheidungen zu treffen. Alicia Vikander spielt Kathy als starke, kämpferische Persönlichkeit, die ihrem Mann wunderbar verliebte Blicke schenken kann. Die kleine Tochter Jessie, die gegen die Angst kämpft, Antonios Liebe könnte künftig allein dem Schwesterchen gehören, hinterlässt ebenfalls einen starken Eindruck. Der Polizist Ace ist als Widersacher Antonios anfangs negativ gezeichnet, entwickelt sich aber zum komplexeren Charakter.

Der zweite Grund, weshalb das Drama trotz plakativer Züge auch ansprechend authentisch wirkt, ist die stilistische Gestaltung. Die Kamera sucht die Nähe zu den Figuren, ihren Gesichtern, heftet sich an Antonio, wenn er auf seinem Motorrad wieder einmal wütend davonprescht. Sie fängt flirrende Eindrücke ein, im strömenden Regen in den Bayous, den stehenden Gewässern Louisianas. Dorthin, an eine einsame Uferstelle im Grünen, zieht sich Antonio gerne zurück, um nachzudenken. Im Dunst über dem Wasser zeichnet sich dann oft vor seinem geistigen Auge die Gestalt der jungen Mutter im Boot ab. Die Szene, in der Kathy auf Parkers Gartenparty das melancholische, titelgebende Lied von Roy Orbison anstimmt, steckt voller Emotion, die berührt. Die Bilder fangen die Spannung ein, in der sich diese Charaktere befinden, in der sie Signale der Hoffnung und des Trosts empfangen und um Orientierung ringen. Chon lässt seinen Hauptcharakter eine bewegende individuelle Entwicklung durchlaufen. Auch damit überzeugt der Film als künstlerisches Werk, das mehr zu bieten hat als nur die berechtigte Kritik an einer schikanösen, restriktiven Einwanderungspolitik.

 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/blue-bayou-2021