Alles ist gutgegangen (2021)

Die Zeit, die bleibt

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Immer wieder beschäftigt sich François Ozon in seinen Filmen nicht nur mit dem Leben, sondern auch mit dem Sterben. In „Die Zeit, die bleibt" aus dem Jahre 2005 ging es um einen Mann, der nach einer schrecklichen Diagnose versucht, sein Leben zu ordnen und die verbleibenden Wochen zu nutzen. In seinem neuen Film „Everything went fine", der auf einem Bestsellerbuch von Emmanuèle Bernheim beruht, geht es um einen anderen Kampf vor dem Tod und um den Wunsch, selbstbestimmt zu sterben.

Nach einem Schlaganfall ist der 85-jährige André Bernheim von einem Tag auf den anderen halbseitig gelähmt und verliert allen Lebensmut. Eines Tages zieht er seine beiden Töchter Emmanuèle (Sophie Marceau) und Pascale (Géraldine Pailhas) ins Vertrauen, dass er Sterbehilfe in der Schweiz in Anspruch nehmen will und dass sie beide ihm dabei behilflich sein sollen. Und trotz aller Zwistigkeiten, die die beiden Frauen stets mit ihrem Vater auszufechten hatten, gehen sie zögernd auf dessen Ansuchen ein. Denn wie Emmanuèle an einer Stelle sagt: Ihr Vater sei niemand, dem man einen Wunsch abschlage. Doch sie müssen stets auf der Hut sein, wen sie ins Vertrauen ziehen, denn auf Beihilfe zum (assistierten) Freitod steht eine Gefängnisstrafe und eines Tages steht die Polizei vor der Tür und stellt Fragen.

Everything went fine ist auf den ersten Blick kein spektakulär gefilmtes Werk, sondern eher (bis auf wenige Einschübe) nüchtern inszeniert. Zugleich steckt der Film aber voller kleiner Gesten und liebevoll beobachteter Details: In einer Szene etwa lässt Emmanuèle ihren Vater von einem Sandwich abbeißen, das sie später zu Hause aus ihrer Tasche nimmt, sich anschickt, es wegzuwerfen, kurz zögert und es dann doch lieber fein säuberlich in einer Dose in den Kühlschrank stellt. Wenig später, man hat da bereits diese kleine Szene fast vergessen, wird sie es doch entsorgen. Und solche Beobachtungen finden sich haufenweise in diesem Film, der die Dramatik des Geschehens geschickt unterläuft, in dem er immer wieder auf vermeintliche Nichtigkeiten verweist, die aber doch innerhalb der Geschichte als stimmige Elemente Bedeutung haben und emotionale Schattierungen hinzufügen.

Der Film lebt vor allem von seinen wunderbaren Darsteller*innen, bei denen neben Sophie Marceau und Géraldine Pailhas Leinwandgrößen wie Charlotte Rampling und Hanna Schygulla als Mitarbeiterin der Sterbehilfe-Organisation in der Schweiz auftreten.

André Dussollier, der den von einem Schlaganfall Gezeichneten verkörpert, ist indes kaum wiederzuerkennen. Mit hängender Gesichtshälfte, bei der man sich allein schon fragt, wie er das hinbekommen hat und einer nicht immer ganz gelungenen Balance aus grimmiger Wut, Trauer, Verzweiflung, Arschlochhaftigkeit und dann wieder eingestreutem Humor ist er kein liebenswürdiger alter Herr, sondern eher einer von der Sorte, der seine Töchter gerne mal gegeneinander ausspielt und der offensichtlich während seiner Ehe oder danach – so genau erfährt man Details wie diese nicht – offen schwul lebte, so dass sich seine Kinder auch noch mit sich seltsam aufführenden (Ex-)Lovern herumplagen müssen. Den schlimmsten von ihnen nennen sie einfach nur G.M. („Grande Merde“).

Everything went fine ist sicher nicht der stärkste Film Ozons, aber es sollte einen nicht wundern, wenn jemand aus dem bemerkenswerten Cast am Ende des Festivals eine Auszeichnung als beste/r Darsteller/in mit nach Hause nehmen wird.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/alles-ist-gutgegangen-2021