Drive My Car (2021)

Die Straße des Lebens

Eine Filmkritik von Teresa Vena

Was Ryusuke Hamaguchis Werk eint, ist die Tendenz, zu langen Epen und darin auf einen ausgiebigen philosophischen Diskurs zwischen einzelnen Mitgliedern des meist umfangreichen Figurenensembles zu setzen. Auch „Drive My Car" ist da keine Ausnahme. Als Inspiration für den Film diente dem japanischen Regisseur eine Kurzgeschichte seines Landmanns Haruki Murakami. Die Texte des Autors lassen eine auffällige Prätention und Selbstverliebtheit erkennen, wie das bereits in „Burning" (2018) des Koreaners Lee Chang-dong, einer anderen Verfilmung eines Murakami-Stoffs, kaum erträglich war. Diese Eigenheit kommt nun auch in diesem Film zum Vorschein, wenn auch weit gemäßigter. Die für „Drive My Car" genutzte Erzählung ist 2014 in der Sammlung Von Männern, die keine Frau haben erschienen – ein Titel, der in gewisser Weise die Mischung aus Drama und leiser Komik, die Hamaguchis Film prägt, gut zusammenfasst.

Nachdem Hamguchi in seinem vorangegangenen Film Wheel of Fortune and Fantasy Frauen in den Vordergrund rückte, präsentiert er nun mit Drive My Car eine Art Pendant dazu, das auf das Innenleben von mehreren Männern unterschiedlicher Altersklassen eingeht. Der Film wartet mit vielen poetischen, intimen Momenten auf, verliert sich aber immer wieder in redundanten und zähen Szenen, die die Gesamtlänge unnötig auf drei Stunden aufblähen. Zu den letzteren gehören beispielsweise die ausgedehnten Theaterproben, um die sich der Haupthandlungsstrang dreht.

Yusuke (Hidetoshi Nishijima) ist Theaterregisseur und Schauspieler, der sich ein paar Jahre nach dem plötzlichen Tod seiner Frau Oto (Reika Kirishima), einer Drehbuchautorin fürs Fernsehen, bereit erklärt, in Hiroshima Tschechows Onkel Wanja zu inszenieren. Seinem Regiekonzept liegt die Idee zu Grunde, den Text in verschiedenen Sprachen sprechen zu lassen. Als ersten Schritt muss er sein Ensemble aus Bewerbungen aus dem gesamten asiatischen Raum zusammenstellen. Auch wenn er ein wenig überrascht ist, darunter ausgerechnet den jungen Liebhaber Takatsuki (Masaki Okada) seiner Frau wiederzusehen, lässt er sich nichts anmerken und besetzt ihn ausgerechnet für die Hauptrolle, die eigentlich seine eigene Paraderolle ist.

In dieser Konstellation lässt sich nur eines der vielen symbolischen Motive des Films wiedererkennen. Der Antagonismus zwischen Yusuke und Takatsuki zieht sich über die ganze Geschichte hinweg. Während Yusuke der Mann ist, der seine Gefühle unterdrückt, tritt Takatsuki als impulsiver und jähzorniger Mensch auf. Auch im Umgang mit Frauen unterscheiden sie sich. Yusuke plädiert für Zurückhaltung und Ernsthaftigkeit, Takatsuki ist dem flüchtigen sexuellen Abenteuer gegenüber nicht abgeneigt. Takatsuki verkörpert einen Charakter, den man für japanische Verhältnisse als eher ungewöhnlich bezeichnen kann. Das Aufbrausende und Angriffslustige tolerieren seine Landsleute in Maßen, weil sie es als zur Exzentrik eines Schauspielers gehörend abtun. Doch schließlich eckt er doch an.

Ebenfalls auffällig ist die, wieder angesichts der japanischen kulturellen Konventionen, recht explizite verbale Auseinandersetzung mit Sexualität. In gewissen Sphären ist Japan sehr offen, was die Darstellung von Erotik betrifft, zum Beispiel in Mangas, auch gilt die Initiation von Jugendlichen zu Geschlechtsverkehr als ein fast mechanischer Prozess, doch dürfte der Austausch über dieses Thema zwischen Fremden aus Diskretionsgründen unüblich sein. Zwischen den Männern kommt es zu Gesprächen, die die sexuellen Präferenzen von Yusukes Ehefrau betreffen. Beide haben in diesem Punkt ja ihre Erfahrungen gemacht.

Die ganze entsprechende Episode, in der die beiden Männer über Yusukes verstorbene Frau sprechen, wirkt in ihrer pathetischen Art überflüssig, Yusukes belehrender Monolog ist uninteressant. Stattdessen gehört zu den Höhepunkten des Films die Szene, in der Yusuke und seine Fahrerin bei seinem Regieassistenten und dessen taubstummer Frau, die gleichzeitig Schauspielerin in Yusukes Stück ist, eingeladen sind. Es ist hier, wo es nur ganz weniger Worte bedarf, dass die berührendste und ehrlichste Liebeserklärung im Film formuliert wird.

Das Auto, ein roter Saab, hat viele Funktionen. Für Yusuke ist es ein Rückzugsort. Hier hört er das von seiner Frau aufgesprochene Tonband, mit dem er den Text für Onkel Wanja lernt. Er ist daher gar nicht begeistert, ja reagiert mit erstaunlicher Sturheit darauf, als ihm die Theaterleitung eröffnet, dass er in der Zeit seines Engagements vor Ort aus Versicherungsgründen nicht selbst fahren dürfe. Widerwillig nimmt er schließlich die junge Fahrerin Misaki (Tôko Miura) in Kauf. Sie dringt aber damit in seine Intimität ein, stört das Gleichgewicht zwischen ihm und dem Andenken an seine Frau. Nur durch diese Maßnahme ist es aber auch erst möglich, dass Yusuke Abstand zum Tod seiner Frau findet. Nur so gelingt es ihm, den Trauerprozess endlich in die Phase der Akzeptanz zu führen und eine neue Perspektive fürs eigene Leben zuzulassen.

Im Auto reisen die beiden wie in einer Zeitkapsel, an der die Außenwelt klanglos vorbeirauscht. Hier drinnen entsteht zwischen ihnen eine Verbindung, die sie erkennen lässt, dass sie ähnliche Narben mit sich tragen. Das Auto wird in diesem Zusammenhang zu einer Art Beichtstuhl. Als wortwörtlich roten Faden – der Lack des Fahrzeugs ist tatsächlich rot – führt es durch die Geschichte, sorgt aber auch für einige sentimentale Szenen, die an gewissen Stellen zu dick aufgetragen wirken. Das Herumfahren im Auto ermöglicht auch, der Stadt Hiroshima eine liebevolle Hommage zu widmen. Die Straßen, die strenge Architektur, das Meer und selbst die Mülldeponie mit ihrem Schlund zeichnen ein sinnliches Bild davon.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/drive-my-car-2021