Der Engländer, der in den Bus stieg und bis ans Ende der Welt fuhr (2021)

Der alte Mann und der Bus

Eine Filmkritik von Falk Straub

Im englischen Original heißt dieser Film „The Last Bus“ und ein schlichtes „Der letzte Bus“ hätte es im Deutschen wohl auch getan. Doch da Verleihtitel hierzulande gern die Namen vergleichbarer Filme assoziieren, um deren Erfolg im Idealfall zu reproduzieren, bewegt sich der von Timothy Spall gespielte Tom durch ein Drama, das verdächtig nach einem schwedischen Literaturbestseller und dessen Verfilmung klingt. Mit der Hauptfigur aus Jonas Jonassons Roman Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand teilt Tom allerdings nicht viel mehr als sein hohes Alter und die Tatsache, dass auch sein Abenteuer mit dem Einstieg in einen Bus beginnt.

Tom besteigt ihn im schottischen John O'Groats, im äußersten Norden der britischen Hauptinsel. Nach dem Tod seiner Frau Mary (Phyllis Logan) reist der 90-Jährige in seine kornische Heimat zurück, der er vor Jahrzehnten den Rücken gekehrt hatte. Sein Ziel liegt am entgegengesetzten Ende der Insel und trägt den poetischen Namen Land's End. Die Entfernung zwischen den zwei Orten ist nicht nur die weiteste, die man im Vereinigten Königreich auf direktem Weg zurücklegen kann, in der englischen Sprache ist sie auch zur Redewendung geworden. Wer von John O'Groats nach Land's End reist, nimmt im übertragenen Sinn eine große Entwerfung auf sich. Für Tom trifft beides zu. Seine Reise ist nicht nur 1406 Kilometer lang und beschwerlich, sondern auch eine in die eigene Vergangenheit.

Warum der rüstige Rentner nicht bequemer reist, etwa Teile der Strecke mit dem Flugzeug oder Zug zurücklegt, legen Rückblenden offen. Schon zu Beginn, als er mit einem zerknautschten Lächeln und einem freundlichen Spruch auf den Lippen John O'Groats verlässt, kommt ihm eine jüngere Version seiner selbst (Ben Ewing) und seiner Frau Mary (jetzt: Natalie Mitson) entgegen. Wenn der Alte und das junge Paar einander in entgegengesetzter Richtung passieren, dann blitzt die ganze Klasse von Regisseur Gillies MacKinnon auf. Leider sind diese Momente rar.

Tom reist auf demselben Weg zurück nach Land's End (und macht in denselben Restaurants und Hotels Station), den er einst mit Mary von dort aus nach John O'Groats genommen hatte. Unterwegs kann ihn nichts erschüttern. Er wird beklaut und beschimpft, er verletzt sich und landet in der Gosse. Doch so, wie er anderen stets eine helfende Hand reicht, schlägt auch ihm Hilsfbereitschaft entgegen. Und weil er sich einem Pöbler als Einziger mutig entgegenstellt und andere ihn dabei filmen, wird er schließlich sogar zum Internetphänomen. Von alldem bekommt der alte Mann nichts mit. Ruhig und unbeirrt reist er weiter.

Wer sich aufgrund des deutschen Verleihtitels eine Komödie wie Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand erhofft, sitzt im falschen Film. Gillies MacKinnon hat ein leises Drama über eine letzte Reise gedreht. Zwar ist auch sein Film nicht ohne Humor, von einem Schelmenstück wie Jonassons Roman und dessen Adaption könnte er aber kaum weiter entfernt sein. Leider ist die Geschichte aus der Feder von Drehbuchautor Joe Ainsworth nur leidlich erzählt. Im Vergleich zu MacKinnons besten Werken, zu denen seine frühen Filme wie Die Playboys (1992), die Steve-Martin-Dramödie Der Zufalls-Dad (1994) oder Small Faces (1995) zählen, fällt sein jüngster Film deutlich ab.

All die eingeschobenen Rückblenden wirken wie kleine Störfeuer in einer ansonsten stringenten Story. Doch selbst diese schüttelt ihren episodischen Charakter bis zuletzt nicht ab. Die am Wegesrand getroffenen Figuren bleiben zu skizzenhaft und ihre erzählerische Funktion ist zu offensichtlich, als dass sich daraus ein stimmiges Ganzes ergäbe. Es ist Timothy Spalls überzeugender 90-Jähriger, der die Handlung zusammenhält. Der Realismus, der damit einhergeht, raubt dem Film aber auch den Elan, da der Protagonist seinem Alter entsprechend nur mühsam vorankommt.

Und so schleppt sich denn auch die Handlung bereits früh im Film ihrem vorhersehbaren Ende entgegen. Obwohl der Film gerade einmal eineinhalb Stunden dauert, kommt er einem deutlich länger vor. Der Engländer … ist ein Werk, das alle Zutaten zu einem waschechten Feelgood Movie hat, sich letzten Endes aber nie richtig rund und gut anfühlt.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/der-englaender-der-in-den-bus-stieg-und-bis-ans-ende-der-welt-fuhr