Awake (2021)

„Die Welt ist jetzt anders…“

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Der Science-Fiction- und Katastrophenfilm gehört neben dem Horrorfilm zu den Genres, die überwiegend vom Plot und seltener von Charakteren getrieben sind. Würden wir uns für die soapigen Verwicklungen zwischen dem Ölbohrarbeiter Harry, dessen Tochter Grace und deren Lover A.J. aus Michael Bays „Armageddon“ (1998) interessieren, wenn nicht gerade ein riesiger Asteroid auf die Erde zurasen würde, den natürlich nur die tapferen Männer stoppen können? Himmel, nein, auf gar keinen Fall! Und selbst komplexer gezeichnete und nuancierter gespielte Figuren aus diesen Genre-Gefilden, etwa die Familie aus John Krasinskis „A Quiet Place“ (2018), sind doch in erster Linie durch die dystopischen Bedingungen reizvoll, mit denen sie konfrontiert werden.

In Mark Rasos Awake ist das seltsamerweise nicht so. Hier entsteht vielmehr der Eindruck, dass es weitaus interessanter gewesen wäre, den Alltag der Hauptfiguren kennenzulernen. Denn der Anfang des Films ist mit Abstand der spannendste Teil. Wir sehen, wie Jill (Gina Rodriguez) als Security-Kraft in einer psychiatrischen Einrichtung ihrer Nachtschicht nachgeht. Und schnell begreifen wir, dass Jill eine komplizierte Vorgeschichte hat. Als die Psychiaterin Dr. Murphy (Jennifer Jason Leigh) das Gebäude verlässt, versteckt sich Jill. Kurz darauf lässt sie einige Pillen mitgehen, die sie nach Dienstschluss an einen Dealer verkauft. Als Jill ihre kleine Tochter Matilda (Ariana Greenblatt) und ihren jugendlichen Sohn Noah (Lucius Hoyos) von ihrer Mutter Doris (Frances Fisher) abholt, erinnert diese sie daran, die Kinder bis zum Abend zurückzubringen. Jill war drogenabhängig – und versucht nun, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen.

Die Art und Weise, wie Rodriguez die Müdigkeit und zugleich den Willen, endlich mal etwas richtig zu machen, zum Ausdruck bringt, nimmt sehr für diese Figur ein. Auch die Interaktion mit den eigenen Kindern und der strengen Mutter lässt Potenzial erkennen. Hier ist offenbar viel vorgefallen; es gibt seelische Wunden, die noch nicht verheilt sind. Aber für eine tiefere Betrachtung haben wir dann leider keine Zeit. Denn die Apokalypse klopft an. Beziehungsweise sie crasht mit voller Wucht in den Wagen der dreiköpfigen Familie, als plötzlich der Strom ausfällt und alle Geräte mit einem Stromkreis versagen.

In der Inszenierung des Autounfalls beweist Raso, dass er auch Action-Momente mitreißend einfangen kann. Aus dem Szenario, das folgt, holt er im weiteren Verlauf indes nur noch Klischees heraus. Das Ausbleiben des Stroms geht mit einer Schlaflosigkeit der Bevölkerung einher. Selbst Leute, die im Koma lagen, erwachen. Als herauskommt, dass Matilda zu den wenigen Menschen gehört, die noch immer schlafen können, müssen sich Jill und ihre Kinder auf die Flucht begeben.

„Das ist ein Terroranschlag, ganz klar!“, heißt es kurz nachdem der Stromausfall stattgefunden hat. Wie anfällig Menschen selbst für die absurdesten Verschwörungstheorien sind, hat das vergangene Jahr auf traurige Weise demonstriert. Ziemlich schwach ist jedoch, wie grobschlächtig Raso (der mit seinem Bruder Joseph auch das Skript verfasste) solche Dynamiken schildert. Bis auf die zentralen drei Figuren und ein paar wenige Ausnahmefälle werden die Menschen in Awake als erschreckend primitive Masse gezeigt. Dass Schlafentzug rasch Auswirkungen auf die Psyche hat, wird uns erklärt. Hier scheint dieser Zustand allerdings direkt alle in Bestien zu verwandeln. „Wir sollten sie opfern!“, ruft eine Frau im Gottesdienst, als sie von Matildas Fähigkeit erfährt. Und schon wird mit Bibeln geworfen und wild herumgeschossen. Für Zwischentöne bleibt da kein Platz. Und auch mit der inneren Logik des Plots will sich das Drehbuch nicht allzu lange befassen. Schade.

Wenn Jill ihrer Tochter beizubringen versucht, wie man mit einer Waffe umgeht und wie man Auto fährt, da die Welt sich verändert hat und Jill Matilda bald nicht mehr beschützen kann, gelangt der Film kurz zu seiner anfänglichen emotionalen Stärke zurück. Aber dann rast die Story auch schon wieder um die nächste (Un-)Logikecke und die Charaktere bleiben als verwunderte Anhalter_innen zurück.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/awake-2021