The Music of Strangers - Yo-Yo Ma & The Silk Road Ensemble

Schillernde Substanzlosigkeit

Eine Filmkritik von Lucas Barwenczik

"Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist.", schrieb Victor Hugo. Den Wahrheitsgehalt dieses Bonmots zeigt Morgan Nevilles Musikdokumentarfilm The Music of Strangers: Yo-Yo Ma and the Silk Road Ensemble: Schweigen scheint für die Protagonisten unmöglich, gesagt wird trotzdem nichts. Die energetischen Darbietungen des internationalen Musikerkollektivs werden immerzu von Glückskekssprüchen, Eine-Welt-Parolen und halbseidenen Proklamationen über das Weltbürgertum der Musik übertönt. Schon bald hofft man jedes Mal, wenn sie den Mund öffnen, dass sie es zum Singen tun.
Dabei beginnt alles vielversprechend: Der Cellist Yo-Yo Ma ist nicht nur ein überaus begabter Musiker, sondern auch ein charismatischer Entertainer, ob Backstage oder im Rampenlicht spielt dabei keine Rolle. Er alleine könnte gut einen Film tragen. Auch die anderen Mitglieder des Ensembles, die nach und nach vorgestellt werden, sind sicherlich umgängliche, sympathische Zeitgenossen und einzigartige Instrumentalisten. Das Problem ist, dass Neville (dessen 20 Feet from Stardom mit einem Academy Award als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet wurde) zwar zahllose Figuren, Würfel und Bretter hat, aber nicht weiß, was gespielt wird. The Music of Strangers ist eine große Weltreise, Ma und seine Kollegen besuchen Schauplätze, verteilt über den gesamten Globus. Jordanien, Indien, Syrien, Spanien und die USA sind nur einige der zahllosen Zwischenstationen. Doch ihre Expedition gerät bald zur Odyssee, weil Neville eines bis zum Ende seiner Irrfahrt nicht findet: eine Geschichte, die es wert zu erzählen wäre.

Stattdessen reihen sich Porträts der Musiker unmotiviert an Auftritte, gefolgt von Exkursen über die universelle Sprache der Musik, Zivilisationseigenheiten und politische Konflikte. Während Yo-Yo Mas Aufstieg vom Wunderkind zur (pop-)kulturellen Ikone noch zu fesseln vermag und die auf Leonard Bernstein zurückgehenden Theorien zumindest in Ansätzen interessant sind, verliert sich der Film zusehends in solchen Nebensträngen. Es fehlt der rote Faden, eine Leitfrage oder Zielstellung. So entsteht schnell der Eindruck der Willkür: Es wirkt, als hätte das Team eine Ausgabe der Zeitschrift Geo durch den Schredder gejagt und die Schnipsel per Dartwurf ausgewählt.

Produktionstechnisch und handwerklich kann man dem Film hingegen wenig vorwerfen: Die Hochglanzbilder sind stets in warmes Licht getaucht und überzeugen mit satten Farben. Viele der Aufnahmen sind atemberaubend, gerade wenn Landschaft und Architektur eingefangen werden. Oft betonen die Bildkompositionen Distanz und Größenunterschiede, winzige Menschen stehen vor türmenden Gebäuden.

Die diversen Auftritte werden nicht einfach lieblos abgefilmt, sondern dank aufwändiger Kamerafahrten und rhythmischem Schnitt so dynamisch präsentiert, wie es auch die Stücke sind. Besonders ansprechend sind dabei die von einem improvisierenden Maler begleitete Einstiegsnummer, welche die Besonderheiten und Talente der einzelnen Solisten in den Mittelpunkt rückt, und eine Version von Saint-Saëns Der Schwan, der ein Hip-Hop/Ballett-Tänzer eine entrückte Stimmung verleiht.

Solche Hybridformen bestimmen die Musik des Ensembles, das seine Identität stets aus der Vermengung verschiedener Stilrichtungen und kultureller Identitäten zog. Kurios ist, dass der Film in diesem Zusammenhang regelmäßig Vorwürfe zu entkräften versucht, auf die man sonst wohl nicht direkt gekommen wäre. Ma bemängelt, man werfe dem Orchester mangelnde "Reinheit" vor – ein Kritikpunkt, der für den Film schon in seiner Erwähnung beseitigt zu sein scheint. Darüber hinaus steht der Begriff des Kulturtourismus im Raum. Leider hat der Film zu solchen sicherlich sehr aktuellen Debatten nichts beizutragen und rettet sich, wenn einmal eine Antwort gegeben oder eine Haltung angenommen werden müsste, stets in den nächsten Themenkomplex.

Über das eigentliche Silk Road Project – von dem das Orchester nur einen Teil darstellt – erfährt man wenig, und wenn doch, dann im Ton eines besonders enthusiastischen Featurettes oder Infomercials. Schlagworte wie "cultural citizen", "human spirit" und "diluting traditions" laden weniger zum Nachdenken als vielmehr zum Bullshit-Bingo-Spielen ein. The Music of Strangers ist von einer geradezu schillernden Substanzlosigkeit, die auch durch Stil leider nicht kompensiert wird.

Wie genau durch vagen Idealismus die im Film ohne jede Ironie dargestellten Konflikte, wie beispielsweise der Krieg in Syrien, in ihrem Schrecken gelindert werden sollen, beantworten die Musiker nie. Oft drängt sich der Gedanke auf, man erlebe hier wenig mehr als die großspurigen Weltretterposen eines Bonos, nur eben in der folkloristisch-klassischen Version. Es steht ganz außer Frage, dass Musik eine transformative Kraft besitzt, leider jedoch zeigt der Film davon wenig.

Selbst Fans bleiben dem aggressiv auf Arthouse-Feelgood-Atmosphäre getrimmten Dokumentarfilm besser fern. Es gibt eine bessere Alternative: Auf CD, Schallplatte und Live-Auftritten kann man die Musik des Ensembles anhören, sogar in voller Länge. Es quatscht nicht einmal jemand dazwischen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/the-music-of-strangers-yo-yo-ma-the-silk-road-ensemble