Der wilde Wald - Natur Natur sein lassen (2021)

Wilde Natur

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Wie viel wild ist gut für uns? Der Dokumentarfilm "Der wilde Wald" von Lisa Eder untersucht das Wilde im Wald, und zwar am Beispiel des Bayerischen Waldes und der Geschichte des Nationalparks. Der Film lässt Forscher und Förster, Philosophen und Wanderer zu Wort kommen. Sie schildern ihre Sicht auf den Nationalpark und zeigen die Vorteile des Sich-nicht-Einmischens in die Natur auf.  

Es sind vor allem die ruhigen Bilder, die einem im Gedächtnis bleiben werden (und die man unbedingt im Kino sehen sollte): die Ansichten, Eindrücke und Perspektiven auf den Wald, wenn Kameramann Tobias Corts ganz allein im Wald zu sein scheint und sich von der Ruhe, der Stille, aber auch der Wildnis inspirieren lässt. Da ist ein Wasserlauf, ein Pilz am Baumstamm, da sind Blätter und Baumkronen. Aber auch die Bewohner des Waldes nimmt der Film immer in den Fokus: Käfer, Vögel, Luchse, Bären, Elche. Die Bilder zeugen von einer selten gewordenen Gemeinschaft, die voneinander abhängig ist und einander bedingt.

Der Mensch erscheint eher als Störenfried, als derjenige, der aufhören muss, sich einzumischen. Das betont der Film immer wieder: Gerade dadurch, dass wir den Wald in Ruhe lassen, passiert eine ganze Menge darin. Der Wald verjüngt sich, das Ökosystem erholt sich, der Verlust der Biodiversität wird gestoppt, längst vermisste Arten wie der Wolf kehren in den Wald zurück. In Europa ist etwa nur ein Prozent der Fläche ohne menschlichen Einfluss – und der Film macht deutlich: Es wäre besser, wenn es mehr wäre.

Lisa Eder lässt in ihrer Dokumentation Förster und Forscherinnen zu Wort kommen, die erklären und zeigen, wie wichtig Naturschutzgebiete wie der Bayerische Wald sind, in denen man die Natur walten lässt, ohne zu regulieren. 1970 eröffnet ist er der älteste Nationalpark in Deutschland und zusammen mit dem angrenzenden Gebiet in Tschechien das größte Waldschutzgebiet Mitteleuropas.

Ein großes Thema für den Bayerischen Wald, aber auch in Der wilde Wald ist der Borkenkäfer und die vermeintliche Bedrohung durch ihn. In den 1980er Jahren ein Politikum habe man mittlerweile herausgefunden, dass – so trostlos und bedrohlich die Bilder von abgestorbenen Bäumen und ganzen Waldflächen auch sein mögen – der Borkenkäfer genauso mit zum Wald dazugehört wie alle anderen Tiere auch. Und wenn sich der Borkenkäfer in jüngster Zeit vermehrt ausbreitet, dann auch deshalb, weil sich das Klima ändert, weil es wärmer wird, weil sich die Käfer in einer solchen Umgebung sehr wohl fühlen. Der Borkenkäfer – also auch hausgemacht. 

Der Einzige, der in der Natur des Waldes nicht so recht auffallen mag, ist Fotograf Bastian Kalous. Er liebt es, durch den Bayerischen Wald zu wandern, er hat seine Heimat für sich neu entdeckt. Immer wieder zwischendurch kommt er im Film zu Wort und erzählt, was ihn am Wald, an den Bergen und an der Natur fasziniert, warum man eigentlich nicht weit reisen muss und welche Wirkung die Natur auf ihn hat. Was Bastian Kalous in seinen regelmäßigen Auszeiten hautnah erlebt, fasst Philosophin Christina Pinsdorf in abstrakte Begriffe. Sie forscht am Institut für Wissenschaft und Ethik in Bonn zur „Philosophie der Wildnis“ und zeigt aus theoretischer Sicht, wieso wilde Wilder wichtig sind für den Menschen. Dass wir sie brauchen, scheint für all die Menschen außer Frage zu stehen, die von überall her in den Bayerischen Wald kommen und dort forschen, und deshalb müssen wir sie auch für die zukünftigen Generationen bewahren.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/der-wilde-wald-natur-natur-sein-lassen-2021