Tina (2021)

Die ewige Überlebende

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Es ist ja immer so eine Sache mit Ikonen. Je mehr ein Mensch stilisiert und auf ein Podest gestellt wird, desto mehr verliert sich die Menschlichkeit, die Fehlbarkeit, die Verletzlichkeit der Seele. Kaum jemand hat das so klar in ihrer Karriere gemacht wie Tina Turner. Mit nunmehr 81 Jahren wird sie in T.J. Martin und Dan Lindsays Dokumentarfilm „Tina“ (so ikonisch ist sie, dass nur ein Vorname reicht) noch einmal gefeiert. Doch ganz so einfach ist das alles nicht.

Das vielleicht interessanteste Details kommt fast am Ende des Films, wenn Tina Turner in ihrem Chalet in der Schweiz sitzt, stilvoll in einem schwarzen Anzug, und erklärt, wieso sie erlaubt, dass die Dokumentarfilmemacher sie noch einmal zu ihrem Leben ausfragen dürfen: Es ist ihr letztes Geschenk an die Fans und markiert, zusammen mit einem Musical, dass 2019 uraufgeführt wurde, das Ende ihrer Karriere, das Ende ihrer Öffentlichkeit. Endlich nur noch Anne Mae sein und die Tina Turner in all ihren Facetten abstreichen, das ist ihr Wunsch. Kaum jemandem gönnt man es mehr als dieser Frau. 

Tina ist in gewisser Hinsicht ein klassischer dokumentarischer Rückblick auf das Leben einer Künstlerin. Es beginnt mit dem Gründungsmythos von Ike und Tina Turner in den 1950er Jahren, als eine gerade einmal 17-jährige Tina, damals noch Anna Mae, den acht Jahre älteren Ike traf. Dieser war schon ein bekannter Musiker, der Anna Maes unglaubliches Talent erkannte und es zu nutzen wusste. Die beiden, die alsbald auch heirateten, wurden schnell zu Instanzen in der Musikszene und arbeiten viel und hart. Meist chronologisch hangelt sich der Film mit vielen Archivaufnahmen an der Karriere Tina Turners entlang. Von den Jahren mit Ike zu ihrer Scheidung, den harten Jahren in Las Vegas bis hin zu ihren Jahren als absoluter Superstar in den 1980ern und 1990ern wird alles korrekt durchdekliniert. Ein wundervoller Fan-Service, der noch einmal die Meilensteine passieren lässt, für die Turner bekannt ist. Genau dazu lässt der Film sich auch genug Zeit mehrmals Songs, für die Turner berühmt geworden ist, in voller Länge zu zeigen - natürlich immer von den besten und berühmtesten Auftritten der Sängerin.

Soweit könnte alles palletti sein, wäre da nicht der große Aufhänger, der große Makel, die saftige Story in der Story, die Turner seit mehreren Jahrzehnten begleitet: Schon in den ersten paar Minuten macht Tina darauf aufmerksam, dass man die Figur und Person Tina Turner nicht denken darf ohne an die Gewalt zu denken, die ihr widerfahren ist. Und in gewisser Weise stimmt das. In den 16 Jahren Ehe mit Ike, so berichtet Tina Turner Jahre nach ihrer Trennung, wurde sie schwer misshandelt, sowohl körperlich als auch psychisch und sexuell. Dass diese Misshandlungen Teil ihres Lebens und auch ihrer Karriere sind, ist klar. Wichtig ist auch der Fakt, der hier kurz angesprochen aber nie wirklich in Augenschein genommen wird, dass Turner eine der ersten großen Stars war, die Missbrauch öffentlich machte und damit eine Welle auslöste, die ähnlich wie #MeToo eine Unmenge an Frauen dazu brachte nicht mehr zu schweigen. 

Doch Turners eigene Aussagen dazu sind ebenfalls beachtenswert, machte sie die Misshandlungen doch öffentlich, weil sie musste und in der Hoffnung danach endlich abzuschließen, denn, das ist deutlich im Archivmaterial zu sehen, sie leidet unter posttraumatischen Flashbacks und wünscht sich nicht immer wieder gedanklich an diese Ereignisse erinnert zu werden. T.J. Martin und Dan Lindsay arbeiten mit diesem Wunsch, zeigen immer wieder Aufnahmen, in denen sie das wiederholt und darum bittet, sie nicht weiter zu quälen und zum ewigen Opfer zu stilisieren, nur um dann genau das selbe zu tun.

Fünf, sechs Mal in diesem Film wird das zum Thema und zum Dreh- und Angelpunkt, durch den der Film sein Material interpretiert. Und so pfropfen  Martin und Lindsay fast jeder Entscheidung, jedem Moment im Leben dieser Frau das Opfer-Framing auf, dem Turner Zeit ihres Lebens versucht hat zu entkommen. Je öfter Tina hier in die narrative Wiederholung tritt, desto mehr hinterlässt das einen bitteren Geschmack. Zumal der Film versucht sich gleichsam als Werk zu stilisieren, das versteht, wie schlimm genau diese Dynamik eigentlich ist. Es ist schwer anzuschauen, wie eine Frau in ihren späten Siebzigern nochmals dazu Stellung nehmen muss und zum wiederholten Mal retraumatisiert wird, weil andere entscheiden, dass dies der wichtigste Punkt in ihrem Leben ist.

Es bleibt die Frage, ob all diese Fragensteller, die Dokumentarfilmemacher von Tina, aber auch all die anderen Buchautoren, Radio- und Fernsehmoderatoren, die sie immer wieder dazu befragten, sich hier nicht in den Dienst Ike Turners stellen und Tina bzw. Anna Mae für immer in dieser Rolle gefangen halten. Ike Turner jedenfalls hatte kaum einer von ihnen so direkt die Frage nach dem Missbrauch gestellt. 

Es ist schwer den Rest des Filmes von dieser üblen Machtdynamik zu trennen, die das Zelebrieren dieser großartigen und talentierten Frau überschattet und in ein enges Interpretationskonzept zwängt. Tina Turner hätte Besseres verdient. Hoffen wir, dass sie nun wenigstens ihre letzten Tage in der Schweiz genießen kann.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/tina-2021