The Lost City - Das Geheimnis der verlorenen Stadt (2022)

Abenteuer wider Willen

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Wie cheesy mag der Film wohl werden, wenn schon die ersten Augenblicke nach billigstem Abenteuerkitsch schreien? Ein Gedanke, den man, zum Glück, schnell wieder beiseiteschieben kann, weil "The Lost City - Das Geheimnis der verlorenen Stadt" dann doch nach wenigen Momenten eine zweite Ebene präsentiert. Schließlich entpuppen sich der schrecklich geschwollen daherredenden Dash (Channing Tatum) und Angela (Sandra Bullock) als Hauptfiguren eines erotisch aufgeladenen, gerade im Entstehen befindlichen Pulp-Romans der Schriftstellerin Loretta Sage (ebenfalls Sandra Bullock), die spürbar damit hadert, die Arbeit am neuesten Werk ihrer Bestsellerreihe vernünftig zu beenden. Seit dem Tod ihres Mannes, eines Archäologen, hat sie - so erfahren wir - jede Lust am Schreiben verloren und sich regelrecht verkrochen.

Ihre umtriebige Agentin Beth (Da'Vine Joy Randolph) lässt allerdings nicht locker, da eine große Promotion-Tour fest eingeplant ist. Loretta muss sich folglich ihrem Schicksal fügen. Bei einer Marketingveranstaltung, die die in einen pinkfarbenen Pailletten-Jumpsuit gepresste Autorin mit sichtbarem Unbehagen absolviert, trifft sie auf den selbstverliebten Alan (ebenfalls Channing Tatum), der ihre Bücher als Covermodel bewirbt. Zu allem Überfluss scheint das Interesse der anwesenden Fans nur ihm zu gelten, nicht der eigentlichen Schöpferin von The Lost City of D., so der Titel des jüngsten Romans. Nach einem peinlichen Missgeschick auf der Bühne und einem Streitgespräch zwischen den beiden geschieht das Unfassbare: Loretta wird entführt. Drahtzieher des Kidnappings ist der exzentrische Milliardär Abigail Fairfax (Daniel Radcliffe), der der festen Überzeugung ist, die Schriftstellerin, ebenfalls studierte Archäologin, könne ihn zu einem in ihren Werken auftauchenden, real existierenden Schatz auf einer tropischen Atlantikinsel führen. Da Alan Wind von Lorettas Notlage bekommt, will er voller Tatendrang zu einer Rettungsmission aufbrechen.

Wie in vielen Filmen, die eine abenteuerliche Hatz schildern, ist die grundlegende Story auch hier in erster Linie ein Aufhänger, um ein ungleiches Duo in unwegsamem, schöne Panoramabilder garantierendem Gelände (gedreht wurde in der Dominikanischen Republik) von einem Malheur ins nächste stolpern zu lassen. The Lost City - Das Geheimnis der verlorenen Stadt möchte aber - das unterstreicht schon der doppelbödige Auftakt - mehr sein als ein 08/15-Jump-and-Run-Streifen. Die regieführenden Brüder Aaron und Adam Nee (Band of Robbers), die am Drehbuch mitschrieben, setzen von Anfang an auf ironische, die Regeln des Genres kommentierende Töne. Ihre Protagonistin weiß um die in manchen Fällen angestaubten Konventionen der Klassiker wie Robert Zemeckis' Auf der Jagd nach dem grünen Diamanten und betont, dass etwa Frauen nicht immer von einem Mann gerettet werden müssen. Alan wiederum scheint den alten Gesetzmäßigkeiten stark anzuhängen und glaubt, den Helden spielen zu müssen. Eine Rolle, die so gar nicht zu dem dümmlichen, leicht hysterischen Posterboy passen will, als der er eingeführt wird. Komisches Potenzial versucht der Film auch daraus zu ziehen, dass zur Abwechslung einmal der Mann zum Sexobjekt avanciert, wobei es mitunter - eine Blutegelszene kommt einem sofort in den Sinn - ganz schön albern zur Sache geht.

Das Mittel der Überzeichnung benutzen die Macher*innen häufig - mit wechselndem Erfolg. Während der Auftritt Brad Pitts als kerniger, im Rambo-Stil gegnerische Handlanger ausschaltender Ex-Soldat zu den absoluten Highlights zählt, stolpert man über Alans anfangs grenzdebile Darstellung. Dass er im Verlauf plötzlich einige sehr reflektierte Momente hat, lässt die Figur inkonsistent erscheinen. Angehoben wird der Unterhaltungswert vor allem durch das funkensprühende Zusammenspiel der beiden Hauptdarsteller. Die Chemie zwischen der auch als Produzentin involvierten Sandra Bullock und Channing Tatum passt von Anfang an und lässt schwächere Momente nicht ganz so störend erscheinen. Amüsante Zwischenakzente setzt überdies Da’Vine Joy Randolph, die Lorettas Agentin mit einem unglaublichen Elan ausstattet. Dass diese Frau alles tun wird, um der entführten Schriftstellerin zu helfen, bezweifelt man keine Sekunde. 

Ist die erste Hälfte des Abenteuerspaßes noch recht lustig und schwungvoll, baut The Lost City - Das Geheimnis der verlorenen Stadt anschließend ab. Und es wird deutlich: Derart clever, wie uns die Verantwortlichen weismachen wollen, ist der Film in Wahrheit nicht. Die Meta-Witze verlieren irgendwann ihren Reiz, werden teilweise arg bemüht und übertrieben explizit in den Wortgefechten der Hauptfiguren ausgebreitet. Bei aller Lust am Hinterfragen der Genremechanismen schwenkt das Drehbuch, je näher es dem Ende kommt, selbst den etablierten Mustern zu – eine schon früh angedeutete Romanze inklusive.

Schön ist freilich, dass hier einmal eine ältere Frau mit einem jüngeren Mann gepaart wird, wo sonst im Kino doch immer noch der umgekehrte Fall dominiert. Die letztlich hängenbleibende Unentschlossenheit der kreativen Köpfe drückt sich aberauch in Lorettas Outfit aus. Frauen werden aus Vermarktungszwecken Dinge – Stichwort: Jumpsuit – auferlegt, die ihnen nicht behagen, merkt der Film kritisch an. Gleichzeitig lässt er die Autorin aber rund eine Stunde in dem weit ausgeschnittenen Kleid durch den Dschungel laufen, ohne ihr die Möglichkeit zu geben, sich in bequemere Klamotten zu werfen. In diesem Punkt ist die Schriftstellerin ein Klon so vieler anderer Heldinnen, die exotische Settings in denkbar unpassendem Aufzug erforschen. 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/the-lost-city-das-geheimnis-der-verlorenen-stadt-2022