Nebenan (2021)

Streit unter Nachbarn

Eine Filmkritik von Teresa Vena

Daniel (Daniel Brühl), vielbeschäftigter Filmschauspieler, führt ein Jetset-Leben. Die Luxuswohnung in Berlin-Prenzlauer Berg dient als Basis für ihn und seine deutsch-spanische Familie. Auf dem Weg nach London zu einem wichtigen Vorsprechen macht er kurz Halt in der Kneipe um die Ecke. Über seine Kopfhörer telefoniert er mit seinem Agenten, läuft dabei mechanisch hin und her und bestellt nonchalant einen Kaffee. Mit seiner aalglatten Art, dem gestriegelten Anzug und seinen Telefongesprächen auf Englisch wirkt er fehl am Platz. Außer ihm sind noch zwei andere Gäste da. Der eine, bereits betrunken, sabbert vor sich hin, den Kopf auf die Arme gelegt. Der zweite hört ihm aber ganz genau zu. Und schon bald stellen die beiden fest, dass sie Nachbarn sind.

Die anfänglich entspannte Stimmung, während der sich der Nachbar (Peter Kurth) als Experte für Daniels Karriere entpuppt, kippt schnell. Ein Fan ist Bruno nicht. Vielmehr trifft hier Daniel auf seinen wohl schärfsten Kritiker. Erst wirkt es so, als wolle sich dieser nur wichtig machen, indem er Daniels Filme einzeln aufzählt und demontiert. Dieser eine Streifen, der in der DDR spiele, beispielsweise, habe überhaupt nichts Glaubwürdiges gehabt, meint er. Oder geht es ihm eher darum, seinem Frust gegen diese zugezogenen „Neuberliner“ Dampf zu machen? Denn Daniels Aussage, er sei zwar von Köln nach Berlin gezogen, aber bereits seit fast zwanzig Jahren in der Stadt, was ihn im Grunde zum Berliner mache, lässt er nicht gelten.

Ab der ersten Szene geht Daniel Brühl in seinem Regiedebüt Nebenan hart mit sich, der Filmbranche und schließlich auch seiner Generation ins Gericht. Entstanden ist eine dicht inszenierte, brillant gespielte und formal durch einfache, aber konsequent eingesetzte Stilmittel einheitliche Komödie. Der Film greift zudem sozial relevante Themen auf, die er mit Humor aus anderer Perspektive beleuchtet. Gemeinsam mit Peter Kurth als Gegenpart übernimmt Brühl die Hauptrolle im Film, die er bis zuletzt mit großer Selbstironie verkörpert.

Abgesehen von der Satire auf den Beruf des Schauspielers und des Filmstars beschäftigt sich Nebenan mit dem Thema Gentrifizierung. Während Daniel den gutverdienenden Wahlberliner verkörpert, ist Bruno der Alteingesessene. Wohnungen wie die von Daniel, die einer aufwendigen Sanierung unterzogen wurden, kann er sich nicht leisten. Im Streitgespräch verhandeln die beiden Figuren, was in Berlin, aber auch an vielen anderen Orten, für viele bittere Realität ist. Fasziniert wohnt man diesem Schlagabtausch aus Argumenten bei, mit denen man eigentlich bereits gut vertraut ist. Die Verknappung und Wucht der Diskussion besitzen eine gewisse reinigende Kraft.

Weder der eine noch der andere Charakter heimsen besondere Sympathien ein. Mit Daniel hat man stellenweise Mitleid, doch hat er die Demütigung, die er erlebt, auch weitgehend selbst verschuldet. Ähnlich verhält es sich mit Bruno. Dieser sieht sich als Verlierer der Wiedervereinigung Deutschlands. Als jemanden, der auf der Strecke geblieben ist, während andere vom wirtschaftlichen Aufschwung und von der neuesten politischen Entwicklungen profitiert haben. Wieder legt Brühl die Rolle Brunos nahe an realen Verhältnissen an. Doch Partei ergreift er auch hier nicht. Und genau das ist die Stärke des Drehbuchs, das Daniel Kehlmann nach einer Idee von Brühl verfasst hat.

Der Film verzichtet auf Sentimentalität und Moralisierung. Auch auf eine versöhnliche Wendung wartet man vergeblich. Vielmehr lebt er von den präzisen Dialogen, auf die sich die Geschichte primär stützt. Denn für die Inszenierung setzt Brühl auf die Reduktion der formalen Mittel, da sich alles im Wesentlichen an einem Schauplatz abspielt. Es ergibt sich der Charakter eines Kammerspiels, in dem die beiden Darsteller durch charismatische Präsenz glänzen. In relativ langen Einstellungen bewältigen sie ein beachtliches Pensum an Text.

Das visuelle Konzept hält der Film konsequent durch, indem er bei einer einheitlichen Bildfindung mit einer ruhigen Kameraführung bleibt. Die Hektik liegt in der Handlung, weswegen eine statische Kamera dramaturgisch Sinn ergibt. Geschickt ist es auch, die Geräuschkulisse, bestehend aus einigen Seufzern und kurzen Gesprächspausen zwischendurch, nicht mit untermalender Musik zu überfrachten. Einzig zum Schluss wird ein von Peter Kurth gesungenes Lied eingespielt, das den Film noch einmal in sich kondensiert.

Nebenan könnte man als Satire mit Wahrheitsgehalt bezeichnen. Viele werden sich an der einen oder anderen Stelle darin wiederfinden. Sei es auch nur, dass sie das Ausmaß kennen, das nachbarschaftliche Konflikte annehmen kann. Der Film ist auch eine eiskalt servierte Racheaktion eines zutiefst verletzten Mannes, dessen Beweggründe lange unklar sind. Mit vielen unerwarteten Wendungen bleibt es bis zuletzt spannend. Mit der von ihm gespielten Figur geht Brühl im übrigen gegen eine Kritik an seinem Rollenrepertoire vor – sei sie nun tatsächlich geäußert oder selbstauferlegt – und beweist, welches schauspielerisches Talent in ihm steckt.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/nebenan-2021