Scars (2020)

Narben, die nicht verheilen

Eine Filmkritik von Teresa Vena

Offiziell endete der Bürgerkrieg in Sri Lanka, der die tamilische Minderheit und die singhalesische Mehrheit konfrontiert sah, 2009. Nach 25 Jahren bewaffneter Auseinandersetzung, einer großen Migrationswelle und Tausenden von Toten sowie Verschwundenen hat sich offenbar die Situation im Land nur vordergründig entspannt. Die Tamil Tigers waren eine terroristische Miliz, zur Hälfte aus Frauen und jungen Mädchen geformt, die gegen die Armee Sri Lankas kämpfte und einen eigenen Staat forderte. Auch nach der Kapitulation verbüssten Mitglieder der Tigers Gefängnisstrafen, viele von ihnen stehen noch heute unter Beobachtung durch die Geheimpolizei.

Der Dokumentarfilm von Agnieszka Zwiefka legt die titelgebenden Scars, Narben, einer Gruppe von Frauen um die Protagonistin Vetrichelvi offen, die sich einst als Heldinnen ihrer Gemeinschaft sahen, doch nun zu unterdrückten und verachteten Wesen abseits der Gesellschaft geworden sind. Gleich zu Beginn irritiert die Erscheinung von Vetrichelvi. Sie zeigt sich selbstbewusst und stolz über ihre Vergangenheit als Soldatin. Mit ihrer Schwester schwelgt sie in Erinnerungen an Momente der Schlacht, beiden steht ein Lächeln im Gesicht. „Sie könne gar nicht mehr sagen, wie viele gegnerische Soldaten sie getötet habe. Es waren zu viele.“, schließt die Schwester.

Eine der größten Leistungen der Regisseurin besteht darin, diesen ersten Eindruck, der von scheinbarer Kaltblütigkeit geprägt ist, im Laufe des Films in eine empathische Sicht auf das Schicksal dieser Frauen umzuwandeln und ihre Erzählungen auch in einen kritischen Kontext zu stellen – auch wenn dieser Aspekt etwas ausgebaut hätte werden können. In der entscheidenden Schlacht zwischen den Rebellen der Tamil Tigers und den Soldaten der offiziellen Armee verlor Vetrichelvi ihren rechten Unterarm und das linke Auge. Seitdem lebt sie mit einer Prothese. Wie ihr ist es vielen weiteren Frauen ergangen, physisch verstümmelt und im Grunde, wollen sie es selber wahrnehmen oder nicht, auch psychisch.

Zwiefka begleitet die Protagonistin, wie sie einige ihrer ehemaligen Kameradinnen aufsucht und sich über ihre Situation erkundigt. Einige von ihnen haben Angst, sich zu erkennen zu geben, weil sie Repressalien der Regierung oder auch aus ihrem direkten Umfeld befürchten. So ergeht es einer jungen Frau, die von ihrer Familie und ihrem Ehemann misshandelt wird. Sie sehnt sich nach der Neuformierung der Tigers, damit sie ihrer aktuellen Hölle entgehen kann. Bei den Tigers sei sie frei gewesen, habe sich wehren können und sei respektiert worden. Diese wie andere Zeugenaussagen erträgt Vetrichelvi standhaft und spricht ihrem Gegenüber Mut und Trost zu.

Erst nach der Begegnung mit einer anderen Frau, deren halbes Gesicht deformiert ist, der Auge sowie ein Arm und ein Bein fehlt, bricht sie zusammen. Die Regisseurin vermeidet es, solche Momente zu provozieren oder sensationalistisch in Szene zu setzen. Die Kamera ist oft sehr nahe bei den Gesichtern der Protagonisten, doch verweilt sie auch nicht übermäßig lange in manipulativ-suggestiver Absicht darauf. Der Film scheut sich nicht, die sichtbaren Narben der Frauen zu zeigen. Sie werden aber nicht etwa wie Trophäen präsentiert, sondern schlichtweg als Zeugnisse von Schmerz.

Die Regisseurin vermeidet den klassischen Interviewstil und lässt Vetrichelvi als Protagonistin die Führung übernehmen. Dabei ist eine dichte Erzählung entstanden, die versucht, den Konflikt zwischen den beiden Parteien impressionistisch zu umreißen. Zur Abwechslung forciert hier einmal eine Autorin nicht die Diskussion über die Stellung der Frau als Selbstzweck und erreicht trotzdem durch das bloße Sichtbarmachen eine starke politische Aussage.

Die Frauen im Film sprechen für sich, sie brauchen keine Bestätigung aus männlicher Sicht. Männer sieht man, wie sie misstrauisch auf Vetrichelvi schauen, als sie selbstbewusst mit ihrem Köfferchen über den Platz läuft und in den Bus einsteigt. Oder sie gratulieren ihr zur Veröffentlichung ihres neuen Buches und lassen sich mit ihr fotografieren. Ansonsten sind sie unsichtbar – bis auf den neuen Präsidentschaftskandidaten Mahinda Rajapaksa, den die Tamilen wegen seiner politischen Ausrichtung zurecht fürchten.

Rajapaksa nimmt in Form von Archivaufnahmen, in denen er seine Wahlambitionen und anti-tamilischen Meinungen auslegt, Einzug in den Film. Die Bilder, die ihn zeigen, stehen im Kontrast zu den weiteren vereinzelten Archivaufnahmen, die Truppen von Tamil Tigers beim Training zeigen. Klar wird zum Ende des Films, dass weder auf politischer noch auf sozialer Ebene der Konflikt im Land zwischen den beiden Gemeinschaften gelöst ist, noch auf eine baldige Lösung hoffen lässt.  

Abgesehen von den Archivbildern hat Zwiefka ihren Film zusätzlich durch fiktive Szenen strukturiert. Sie stellen eine Traumebene dar, in denen die Tiger-Frauen in Uniform und bewaffnet durch eine Fantasiewelt streifen. Damit schafft die Regisseurin eine gewisse Distanz zu den realen Bildern, die sie gleichzeitig mit ihren Informationstafeln am Anfang und Ende des Films wieder auflöst.

Der Film überzeugt durch seine Empathie und die Vielzahl der Aspekte, die er vorbringt, doch zeigt er eine gewisse Schwäche in der politischen Einordnung – wie etwa, dass er nie klarstellt, dass die Tamil Tigers keineswegs die Meinung der Mehrheit der Tamilen wiedergaben, wenn sie auch von der gegnerischen Propaganda in böswilliger Absicht mit ihr identifiziert wurden. Auch der offensichtlich totalitäre Charakter der Bewegung wird zu wenig herausgestellt.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/scars-2020