Landscapes of Resistance (2021)

Der Körper als Medium

Eine Filmkritik von Katrin Doerksen

Sonja ist eine freundliche alte Dame, 97 Jahre alt, aber das von zwei Kämmen zurückgehaltene Haar rahmt nach wie vor ein offenes, ein fröhliches Gesicht. Eine Pflegerin hilft ihr beim Aufrichten und Essen, massiert ihr Arme und Schultern, wenn sie Schmerzen leidet. Man kommt nicht umhin, den menschlichen Körper selbst anhand dieser Bilder als Medium zu begreifen. Er erzählt von den Erlebnissen und Erfahrungen seines Menschen, vom Vergehen der Zeit. Marta Popivoda interessiert sich für genau solche Schnittstellen. Yugoslavia, How Ideology Moved Our Collective Body" hieß der erste Dokumentarfilm der serbischen Künstlerin, der auf der Berlinale 2013 uraufgeführt wurde.

Auch bei Sonja verschränken sich nun individuelle und kollektive Geschichte mit dem körperlichen Gedächtnis: Auf ihrem Arm prangt die Nummer, die ihr einst in Auschwitz tätowiert wurde. Die Dame, in der ersten Einstellung des Films ausgelassen mit einer jungen Katze spielend, war in den 1940er-Jahren eine der ersten weiblichen Partisanen in Serbien. Wegen ihrer Verbindung zu Kommunisten frühzeitig aus der Schule geworfen, heiratete sie noch nicht einmal volljährig ihren Mann und kämpfte aus dem Untergrund heraus gegen die Nazis, bis sie schließlich gefangen genommen wurde. Mit erstaunlich kräftiger Stimme schildert sie Verhöre und Folter, die Isolationshaft im Gefängnis der Gestapo, den Zugtransport nach Auschwitz, wo sie erneut den organisierten Widerstand anleitete.

Aber Sonja beginnt ihre Erzählung mit der ersten progressiven Literatur, die sie im Alter von etwa 13 Jahren zu lesen begann. Ein armer Klassenkamerad, dem sie ihr Schulbuch geliehen hatte, gab ihr Maxim Gorki zur Lektüre. Von da an ist Landscapes of Resistance auch ein Film über die Medien, die wir bewusst oder unbewusst nutzen, um unsere Gegenwart aufzuzeichnen, für die Nachwelt zu dokumentieren. Sonjas Art zu erzählen – zumeist aus dem Off zu hören – lässt schon darauf schließen, dass sie viel gelesen hat. Ihr Ausdruck ist gewählt und sie weiß ihre Anekdoten so wiederzugeben, dass man Bilder vor Augen hat. Dazu zeigt Popivoda Orte, die mit Sonjas Erzählungen korrespondieren: im Dickicht des Waldes verborgene Höhlen. Ein alter Hof, die Wände rissig, Moos auf den Dachschindeln, Scharten im Holz. Reiche Texturen, einander überlagernde Ebenen von Bedeutung, lesbare Spuren der Vergangenheit.

Dazwischen mischen sich Aufnahmen von Sonja, die schon vor ein paar Jahren entstanden sein müssen: Ihr Haar ist noch kastanienbraun, die Katze noch jung, die Auflösung geringer. Außerdem hat die Regisseurin Briefe und kleine Zeichnungen eingescannt und invertiert, deren Handschrift nun in Weiß auf den Bildern aufscheint. Zumeist stammen sie aus den letzten Jahren, lassen Popivoda selbst in ihrem Film präsent werden: Denn inzwischen lebt die Künstlerin selbst in Berlin, gemeinsam mit Sonjas Enkelin. In den Briefwechseln scheinen sehr gegenwärtige Sorgen auf, angesichts des überall in Europa neu aufkeimenden Faschismus. Aber auch ein schlechtes Gewissen ob des bequemen Lebens in Mitteleuropa, während die hässliche Offenkundigkeit des Kapitalismus ausgerechnet an den Balkan verdrängt wurde, an die Ränder des Kontinents.

Wir selbst müssen Partisanen sein. Das sei völlig alternativlos, schlussfolgert die Briefeschreiberin an einer Stelle. Aber obwohl Sonja in diesem Szenario ganz klar eine Vorbildfunktion erfüllt, könnte Landscapes of Resistance kaum weiter von einem didaktischen Film entfernt sein. Die Bilder drängen ihre Zuschauer zu nichts. Im Gegenteil: Archivmaterial fehlt fast völlig, die Einstellungen sind lang und zumeist menschenleer, lassen Raum für eigene Gedankengänge und Reflexionen und dass Sonja zumeist nur zu sehen oder zu hören ist, lässt auch zu ihre eine gewisse Distanz entstehen. Manche Geschichten bedürfen einfach keiner Dramatisierung, um ihr ganzes Grauen zu entfalten. Sonja erzählt davon, dass an den Waggons, die sie 1944 in Belgrad bestieg, Auschwitz stand. Dass sich niemand etwas unter diesem unbekannten Namen vorstellen konnte, dass sie in eine ungewisse Zukunft fuhr. Heute erscheint es unmöglich, mit dem Ort Auschwitz nichts zu verbinden. Dass die Erinnerung aufrecht erhalten wird, verdanken wir Überlebenden wie ihr.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/landscapes-of-resistance-2021