Freak City (2020)

Ein Rohdiamant

Eine Filmkritik von Sebastian Seidler

Mika (Luke Piplies) ist 15. Seine Freundin Sandra (Julia Müller) hat ihn verlassen. Um sie zurückzuerobern, meldet er sich bei einem Intensivkurs für Gebärdensprache an. Das ist sein Ziel. Behauptet er zumindest. Denn da ist auch noch die gehörlose Lea (Dana Cērmane) die er im Jugendklub Freak City kennenlernt. Der jugendliche Beziehungsreigen nimmt seinen Lauf. Während Mika durch Lea eine andere Welt kennenlernt, haben auch die Erwachsenen mit ihren Gefühlen zu kämpfen.

Das mit der Liebe ist eine komplizierte Sache. Egal in welchem Alter. Davon erzählt der charmante Low-Budget-Film Freak City in einnehmender Leichtigkeit. Regisseur Andreas Kannengießer ist ganz nah dran an seinen jugendlichen Protagonisten, deren Sprache erfrischend direkt stottert und sich ausprobiert. Keine Spur von diesen grausigen Drehbuchsätzen, die dem deutschen Film oftmals eine gestelzte Künstlichkeit geben.

Freak City ist ein Coming-of-Age-Film, der aus der Sicht der Jugendlichen für Jugendliche erzählen will. Das Ringen um die eigene Identität, das Spiel mit (Geschlechter)Rollen und das ständige Gefühl von niemandem verstanden zu werden, wird unaufdringlich mit dem Thema der Gehörlosigkeit verbunden. Freak City ist kein Film über, sondern mit Gehörlosen. Das ist ein wesentlicher Unterschied.

Der Umstand, dass Lea nicht hören kann, ist ein dramaturgisches Kontrastmittel. Denn so sehr die „Normalen“ auch an ihr Verstehen glauben wollen – nur weil man hören kann, bedeutet es noch lange nicht, dass man versteht. Mikas Eltern nehmen von den Gefühlen ihres Sohnes gar nichts wahr. Sie stülpen Elternsätze über ihr Kind, während die eigene Ehe ganz offensichtlich gescheitert ist. Die Familie von Lea verweigert sich der Gebärdensprache und drängt die Tochter damit an den äußersten Rand. Laut, deutlich und langsam wird mit dem Teenager am Esstisch gesprochen. Im Grunde wie mit einem Kleinkind. Sie sehnt sich nach Unabhängigkeit und Selbstbestimmung.   

Erwachsenwerden ist kompliziert. Erwachsensein ebenso. Normal und durchschnittlich gibt es aber nicht. Jeder ist anders. Wir, all diese anderen und unterschiedlichen Menschen, müssen nur Wege finden, miteinander über all die Unterschiede hinweg zu kommunizieren. Von diesen Wegen gibt es in Freak City viele. Es wird geschrieben und gesungen. Oftmals reicht eine Geste, eine Berührung oder die tapsigen Versuche von Mika, die Sprache der Gebärden zu erlernen. Im Erkunden all dieser Sprachen liegt das pochende Herz dieses kleinen Films.

In einer der schönsten Szenen erklärt Mikas kleine Schwester Iris (Sophia Schilling), dass sie auch GeBÄRdensprache beherrsche. Als sie von ihrem Bruder korrigiert wird, beharrt das Mädchen darauf, dass auch Bären sprechen können – wir verstehen sie nur nicht. Das ist alles andere als naiv. Es ist kindlicher Realismus.

All das ist mehr als gelungen. Und doch ist Freak City kein Kino. Ein solcher Film hätte dem Jugendprogramm der öffentlich-rechtlichen Sender sehr gut zu Gesicht gestanden. Vielleicht gar als Serie. Im Kino wird er seinen Platz und damit sein Publikum nicht finden. Andreas Kannengießer hatte augenscheinlich keine großartigen Alternativen. Hätte sich dieses Projekt, das durch das Wim-Wenders-Stipendium der Film- und Medienstiftung NRW finanzielle Unterstützung erhalten hat, in die langsamen Mühlen der Redaktionen und Förderungen begeben, der unverbraucht aufspielende Cast wäre wohl zu alt gewesen. Diese Teamdynamik ist in jeder Szene zu spüren. Es gab dieses eine Zeitfenster. Der Film ist so, wie er ist: Ein Rohdiamant, der noch hätte so viel mehr sein können.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/freak-city-2020