Ein Junge namens Weihnacht (2021)

Der Name ist Programm

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Nur eine Woche nach dem charmanten Wintermärchen "Elise und das vergessene Weihnachtsfest" läuft in den deutschen Kinos ein weiterer Familienfilm an, der aus kindlicher Perspektive vom Fest der Liebe erzählt. Hier wie dort wissen die kleinen Hauptfiguren nichts von Weihnachten und stürzen sich in ein Abenteuer, das ihnen spannenden Einsichten beschert. Etwas epischer als in dem eher überschaubaren norwegischen Beitrag geht es in Gil Kenans neuer Regiearbeit "Ein Junge namens Weihnacht" zu, die auf dem gleichnamigen Buch des britischen Schriftstellers Matt Haig basiert. 

Gerahmt wird die Haupthandlung von einer Festtagsszenerie im Hier und Jetzt. Tante Ruth (Maggie Smith) heißt die alte Dame, die auf ihre Nichten und Neffen Andrea (Isabella O’Sullivan), Patrick (Eden Lawrence) und Moppet (Ayomide Garrick) aufpassen muss, weil ihr nach dem Tod der Mutter alleinerziehender Vater (Joel Fry) ausgerechnet am Weihnachtsabend arbeiten muss. Um die Laune der Kinder aufzuheitern, zaubert die rüstige Babysitterin eine Geschichte aus dem Hut, die sich angeblich vor langer Zeit in Finnland zugetragen hat.

Eben dort führt, laut Ruth, der elfjährige Nikolas (Henry Lawfull) mit seinem Vater Joel (Michiel Huisman) ein eher einfaches Leben tief in den Wäldern. Auch seine Mutter, die ihn stets Weihnacht nannte, ist bereits gestorben, bleibt aber in Erzählungen und Gesprächen sehr präsent. Eines Tages werden Joel und sein Sohn, ebenso wie alle anderen Untertan*innen, an den Hof des Königs (Jim Broadbent) bestellt, der verzweifelt nach neuer Hoffnung sucht. Seine Bitte: Die Menschen mögen in den hohen Norden reisen und werden fürstlich entlohnt, sollten sie ein echtes Zeichen der Zuversicht mitbringen. 

Liebend gerne würde Nikolas gemeinsam mit seinem Vater aufbrechen, doch der schließt sich einer Gruppe von Männern an, die das sagenumwobene Dorf Wichtelgrund aufstöbern wollen, und lässt seinen Sprössling in der Obhut seiner egozentrischen Schwester Carlotta (in einer eindimensionalen Rolle unterfordert: Kristen Wiig) zurück. Irgendwann wird es dem Jungen mit seiner Tante zu bunt. Und so macht er sich voller Tatendrang auf den Weg, um Joel zu finden und ihm bei seiner Mission zu helfen. Zusammen mit einer Maus namens Miika, der er das Sprechen beibringen will, dringt Nikolas in eine wundersame Welt vor und findet sich plötzlich tatsächlich in der legendären Ortschaft wieder, die von kleinen Wesen bewohnt wird und eine Insel des Glücks sein soll.

Regisseur Gil Kenan, der auf der großen Leinwand zuletzt mit dem Horrorfilmremake Poltergeist zu sehen war, legt eine opulente weihnachtliche Coming-of-Age-Story vor, die hierzulande, anders als etwa in Nordamerika, nicht bei Netflix startet, sondern ihren verdienten Platz im Kino erhält. Eine Reise durch endlos scheinende Schneelandschaften, skurrile Fabelwesen und ein mit vielen hübschen Details versehenes, üppig ausgestattetes Wichteldorf – Ein Junge namens Weihnacht bietet reichlich Futter für die Augen. Fast jedes Bild verführt dazu, den Blick schweifen zu lassen und nach neuen verspielten Elementen Ausschau zu halten. Gelungen sind nicht zuletzt die oft mit visuellen Ähnlichkeiten arbeitenden Übergänge von einer Erzählebene zur anderen. Wiederholt kehrt der Film nämlich zur Rahmenhandlung zurück, in der Tante Ruth beispielsweise auf kritische Bemerkungen ihrer kleinen Zuhörer*innen eingeht.

Eine interessante Dynamik nimmt das anfangs nicht sonderlich düstere Abenteuer, sobald Nikolas begreift, dass Wichtelgrund von einem Klima der Angst beherrscht wird. Die früher omnipräsente Ausgelassenheit findet nur noch im Geheimen statt, seit die verhärmte Anführerin der zwergartigen Wesen (Sally Hawkins) gegen jede Form des Spaßes vorgeht und alles dafür tut, den Ort von der Außenwelt abzuschotten. Nicht sehr erschöpfend, aber doch anschaulich verhandelt Ein Junge namens Weihnacht so die Abneigung gegenüber allem Fremden, die sich leider in vielen realen Gesellschaften verfestigt. Ein weiteres ernstes Thema, das die Macher*innen anschneiden, ist der Verlust eines nahestehenden Menschen. Der Film erreicht zwar zu keinem Zeitpunkt die emotionale Komplexität des Fantasy-Dramas Sieben Minuten nach Mitternacht, das ebenfalls ein solches Erlebnis für kleinere Zuschauer*innen aufbereitet. Meistens nähert sich das Weihnachtsmärchen den damit verbundenen Fragen und Gefühlen allerdings mit der gebotenen Sensibilität.

Als Auflockerung dienen kurze Verfolgungsjagden und komische Einlagen, für die unter anderem eine agile Wahrheitselfe (Zoe Margaret Colletti) zuständig ist, mit der Nikolas sich anfreundet. Verschenkt wird jedoch das Potenzial der sprechenden Maus Miika, deren witzig gedachte Einwürfe mehrfach im allgemeinen Trubel untergehen. Aus einem tierischen Sidekick wie diesem hätte man sicherlich noch mehr herausholen können. Dass der junge Protagonist auf seiner Reise wichtige Erkenntnisse über sich und seinen Platz in der Welt gewinnen wird, sollte nicht groß überraschen. Im dritten Akt halten Gil Kenan und Ko-Drehbuchautor Ol Parker aber noch ein paar schöne Enthüllungen bereit, die auch ein neues Licht auf die von Sally Hawkins gespielte, zunächst wenig facettenreiche Wichtelvorsteherin werfen. Obschon die letzten Minuten die Grenze zum weihnachtlichen Kitsch überschreiten, sorgen der Abschlusstwist und die Ausstrahlung von Schauspielveteranin Maggie Smith dafür, dass der positive Eindruck überwiegt.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/ein-junge-namens-weihnacht-2021