I Am The Tigress (2021)

Ein Tiger im Käfig

Eine Filmkritik von Teresa Vena

Einst brachte Tischa „The Tigress“ Thomas 150 kg auf die Waage, heute ist kein Gramm Fett mehr an ihrem Körper. Sie ist Bodybuilderin und will zu den Besten der Welt gehören. Sie schindet ihren Körper im Fitnessstudio und spritzt sich irgendwelche Hormone, die ihr neben den prallen Muskeln an Rücken, Bauch und Beinen auch ein kleines Damenbärtchen bescheren. Wer schön sein will, muss nun mal leiden. Den Menschen, die sich über ihr Aussehen beklagen, hat sie nur eines zu erwidern: „Ihr habt es selbst in der Hand, daran was zu ändern.“ 

Trotz ihrer Disziplin will es mit der erhofften Karriere aber nicht klappen. Um die Rechnungen bezahlen zu können, posiert sie für einen Erotik-Fotografen, heizt irgendwelchen Männern im Internet ein und arbeitet als Domina. Damit habe sie kein Problem. Es sei doch viel besser, sie werde dafür bezahlt, um mit den Männern ins Bett zu gehen, als nur, wie andere Frauen, wenn es hochkomme ein paar billige Drinks spendiert zu bekommen. 

Doch ganz so selbstbewusst, wie sie sich nach außen hin gibt, ist Tischa nicht. Ihr macht die Ablehnung, die sie bei den Wettbewerben erfährt, zu schaffen. Auf der Straße zieht sie die Blicke Fremder auf sich, von denen sie oft angepöbelt wird. „Die glauben, ich sei ein Mann“, meint sie dann sichtlich aufgewühlt. „Ich habe Angst, dass sie auf mich losgehen.“ Um Identität und darum, wie man gesehen werden will und man tatsächlich gesehen wird, geht es unter anderem in I am the Tigress

Anvertrauen kann sich Tischa nur ihrem Freund Eddy, einem weißbärtigen, dicklichen Mann, der meist stumm Tischas Wutausbrüche erduldet und sie treu überallhin begleitet. In ihrem Dokumentarfilm beobachten die Filmemacher Philip Fussenegger und Dino Osmanovic diese ungewöhnliche Beziehung der beiden aus nächster Nähe. Die Kamera fängt jeden Muskel und jede Geste ein – erst gar nicht bemüht, das Gesehene zu beschönigen. Von einem Leben im Glanz und Ruhm sind die beiden weit entfernt. Die Wohnung von Tischa ist klein, die Möbel sind abgegriffen und der Computer, den sie für die Internetvideos braucht, ist offenbar der wertvollste Gegenstand, den sie besitzt. 

Einmal zwängt sich Tischa eine schmale, steile Treppe hinauf. Mühsam schleppt sie einen bleischweren Koffer. Der Handlauf, an dem sie Halt sucht, hängt am einen Ende in der Luft und droht unter Tischas Kraft nachzugeben. Die Szene dauert nur kurz an, doch ist sie von großer Intensität. Darin glaubt man, die ganze Tragik von Tischas Leben widerspiegelt zu sehen. Wie eine Tigerin im Käfig engt sie ihr Umfeld ein, hält sie in Schach. Ihrer Kraft ist es nicht gewachsen, deshalb kann sie sie auch nie in Gänze zeigen. 

In Tischas Blick liegt etwas Trauriges und Verlorenes. Die Filmemacher fangen die Melancholie im Gesichtsausdruck ein, indem sie ihre bereits dunkle Haut oft im Dunkeln und Halbschatten aufnehmen. Die Kameraeinstellungen verleihen Tischas Bewegungen etwas Sinnliches und gleichzeitig Zerbrechliches. Um in der Metaphorik des Tigers zu bleiben, könnte man sagen, dass man hier ein verletztes Tier vor sich hat, das im Grund nur auf seine Chance wartet, um angreifen zu können.

Die musikalische Untermalung spielt eine entscheidende Rolle für die Wahrnehmung des Filmes und seiner Protagonisten. Leicht disharmonisch, bestehend aus Akkordeonklängen in Kombination mit Gitarre und Viola, wühlt sie auf. Sie unterstreicht Tischas Unzufriedenheit und Unruhe. Die Musik fungiert als Erweiterung von Tischas Plappern und gereizten Tiraden ihrem Freund gegenüber. 

Mit dem originellen und experimentellen Zusammenspiel zwischen Ton und Bild beweisen die Filmemacher bereits in diesem, ihrem ersten Langfilm beachtliche Fertigkeiten. I am the Tigress beobachtet und kommentiert nicht. Der Mut zur Lakonik zahlt sich aus zu Gunsten eines intimen, impressionistischen Porträts. Die Beziehung zwischen den beiden Protagonisten bleibt bis zuletzt rätselhaft. Sie hat etwas Abstoßendes, fasziniert aber genauso. 

Die Autoren haben zudem ein Gefühl für Rhythmus, erzählen dicht und setzten ihre Vorliebe für Symbolik weitgehend unpathetisch, aber wirkungsvoll ein. Dies zeigt sich noch einmal deutlich in den beiden Schlussszenen des Filmes. In der einen steht Tischa bis zum Bauch im Wasser und lässt sich von den Wellen umfangen, bis sie nicht mehr sichtbar ist. Diese traurig-poetische Stimmung konterkariert der Film dann aber gleich mit einem selbstgedrehten Video von Tischa im Hochformat einer Mobiltelefonkamera, in dem sich mit breitem Grinsen zur Musik tanzt. 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/i-am-the-tigress-2021